HK ungelöst

Interview: Nora Kammerl und Richard Kienberger
Fotos: Richard Kienberger

Mathias Petry schreibt Romane, die in der beschaulichen Kulisse seiner Heimat am westlichen Rand des Landkreises spielen und teilweise hinüberschwappen in den Nachbarlandkreis, in dem Petry als verantwortlicher Redakteur der Heimatzeitung einem ehrenwerten Brotberuf nachgeht. Trotz „La Corona“, „Aphrodite“ oder „Taj Mahal“ wäre ein echtes bayerisches Wirtshaus also der idealtypische Rahmen für ein Gespräch mit dem Literaten über Hudlhub, Hinterkaifeck und die Musik, die Petry mit großer Leidenschaft betreibt. Leider hat der Metzgerbräu am Tag der Deutschen Einheit, für den wir uns nachmittags um vier verabredet haben, geschlossen. Aber warum sollte in Hohenwart nicht funktionieren, was in Wien zur urbanen Folklore gehört: Dort trifft man die Literaten ja auch im Kaffeehaus, wo sie gerüchteweise sogar viele Stunden verbringen und auf das Eintreffen von Fantasie und Kreativität warten. Hülya Aktas, die das Marktplatzbistro „Eurasia“ betreibt, hat für uns die vorgesehene Sperrstunde freundlicherweise etwas nach hinten verschoben, sodass wir das Gespräch mit einer beruhigenden Gewissheit beginnen können: Wir müssen erst gehen, wenn alles gefragt und erzählt wurde und wir allen Windungen nachgegangen sind, die sich bei einem Gespräch im Kaffeehaus zwangsweise ergeben. Zum Beispiel über einen Hausmeister im Swingerclub, Mutterboden aus Hudlhub im Museum oder sehr bayerische Romane, die von einem unbekannten Liebhaber weißblauer Folkloreliteratur in Groß­britannien geordert werden. Petrys bisher veröffentlichte Romane „Hudlhub“ und „Kainegg“ tragen die Untertitel „Ein leicht kriminelles Heimatbuch“ und „Ein ziemlich kriminelles Heimatbuch“.

Petrys bisher veröffentlichte Romane „Hudlhub“ und „Kainegg“ tragen die Untertitel „Ein leicht kriminelles Heimatbuch“ und „Ein ziemlich kriminelles Heimatbuch“.

Heimatkrimis stürmen seit einigen Jahren die Bestsellerlisten,

mit „Schweinskopf al dente“ wurde die dritte Romanverfilmung von Rita Falk zum Kinohit und in der Vohburger Bücherei (siehe Quer 19 Nr. 11) wurde aufgrund der großen Nachfrage sogar eine eigene Heimatkrimi-Ecke eingerichtet. Was einerseits die Frage provoziert, ob Petry bewusst auf der Erfolgswelle mitschwimmt. Andererseits tangiert der Freizeitliterat in seinem zweiten Buch den schier unerschöpflichen Komplex Hinterkaifeck: Einer der rätselhaftesten Kriminalfälle Deutschlands, der auch 94 Jahre nach dem Sechsfachmord auf dem Einödhof ein paar Kilometer westlich hinter der Landkreisgrenze immer noch für Schlagzeilen gut ist. Doch zunächst geht es um die Motive des Autors: „Das Romaneschreiben ist für mich ein Hobby, ein Ausgleich zu meinem Beruf als Redak­teur, in dem ich funktionieren muss. Ich schreibe nur im Urlaub, liebe es die Ge­danken fließen zu lassen, mitzulesen und zu entdecken, was passiert. Deswegen gab es im Vorfeld keine Marktanalyse und ich habe meinen ersten Heimatkrimi erst gelesen, als ‚Hudlhub‘ schon fertig war. Meine Bücher nenne ich auch lieber Bayern­romane – es fließt Blut, es knacken Knochen, es gibt SEK-Einsätze und brutale Killer, aber keinen Ermittler, wie in den meisten Krimis. Denn in Hudlhub regeln wir die Sachen anders.“ Neben Verbrechen und Verbrechern, führt Petry seine Selbstbeschreibung weiter, sei vor allem Heimat ein zentrales Thema in seinen Büchern. In Hudlhub leben einige Zugereiste, die ihre Konturen vor allem im Kontrast mit den Alteingesessenen bekommen. Zum Beispiel der Mechaniker Charlie, der als ausgesetztes Baby von einem Hudlhubber gefunden wurde, der Feuerwehrler Meik und die Postlerin Steffi (beide mit ostdeutscher Herkunft).

Eigentlich wäre Steffi eine sehr hübsche Frau, aber weil sie ihr Leben lang damit zu tun hatte, sich gewisser, herkunftsbedingter Vorurteile zu erwehren – sie war eben keine waschechte Hudlhubberin, sondern eine Zugereiste – war es ihr nicht gelungen, für alle sichtbar zu erblühen. Sie bewegte sich meist minimal, eigentlich fast unmerklich gebückt, aber eben doch nicht aufrecht. Sie drückte die Schultern nach vorn, damit die Brüste nicht hervorstachen, sie kleidete sich unauffällig, um keine Angriffsfläche zu bieten. Sie war eben anders als die anderen, und wenn es nur wegen dieses kleinen Unterschieds war. Es war nicht die Hautfarbe, es war nur die Herkunft. Die durchschnittliche Hudlhubberin war eben nicht ‚zuagroast‘.

RKX_7851_bild01In Hudlhub haben sie alle ein neues Zuhause gefunden.

So wird Meik sogar mit der Hudlhubber Ehrennadel ausgezeichnet und Steffis Tuba-Lehrer fasst es so zusammen: Du hast keine Heimat, nur eine Herkunft. (…) Aber jetzt, jetzt bist du bei uns daheim. Weil Mathias Petry selbst aus dem Norden stammt, wäre das ein Punkt, an dem die Küchenpsychologie einhaken könnte. Belassen wir es bei den Fakten: Er ist als Achtjähriger mit den Eltern aus Stade nach Bayern gezogen, zunächst nach Garching, dann weiter nach Goldach. An die erste Zeit kann er sich nur noch dunkel erinnern, aber es war nicht einfach als norddeutsches Großstadt­kind auf dem bayerischen Land. Mittlerweile fühlt sich der Autor im Süden aber längst daheim: „Ich lebe schon länger in Bayern als viele Einheimische.“ Petry wohnt in Koppenbach, ganz in der Nähe von Hudlhub. Und ja, Hudlhub gibt es wirklich. Der Ort besteht aus zwei Einödhöfen und gehört zur Gemein­de Gerolsbach. Den Namen ‚Hudlhub‘ fand Petry schon immer sensationell, deshalb verwendete er ihn ursprünglich für sein Bandprojekt und schließlich auch für seinen ersten Roman. Im Buch ist Hudlhub zwar ein bisschen größer, es gibt ein paar mehr Häuser und auch eine Kirche, aber alles rundherum stimmt.

Georg Friedrich fuhr eine Allee entlang, dann vorbei an einem wunderschön gelegenen Bauernhof, dem Prielhof, einem regelrechten Gut mit einem großen vorgelagerten Weiher, dann den Scheyrer Klosterberg hinauf, wo Mönche seit Jahrhunderten schon ihr eigenes Bier brauten, dann auf einer verschlungenen Straße am Waldrand entlang, durch Ilmmünster hindurch, schließlich kam er auf die Bundesstraße. Er bog links ab, von dort waren es nur noch ein paar Kilometer bis in die lebenswerteste Stadt des Universums.

RKX_7851_bild03Freilich ist Hudlhub in diesem prominenten Umfeld eher unbedeutend, aber die Hudlhubber sind sich sicher: Wenn die Welt wüsste, dass es uns gibt, würde sie verstehen, dass wir ihr eigentlicher Mittelpunkt sind. So bastelt Petry fleißig weiter an der Marke ‚Hudlhub‘: Es gibt bereits einen Soundtrack zum ersten Roman und ein Koch- und ein Kinderbuch sind schon in Arbeit. Die musikalisch-literarische Hudlhubber Erde wurde kürzlich sogar in Ingolstadt im Museum für konkrete Kunst ausgestellt.
Hudlhub, die Musik und die Romane sind Petrys Hobby. Im normalen Leben absolvierte er zunächst ein Volontariat beim Donaukurier. Danach folgte das Studium von Politikwissenschaften und Kunstgeschichte, nebenher jobbte er überregional bei verschiedenen Redaktionen, auch im Radio- und Fernsehbereich. Als er 1992 ein Stellenangebot als Redakteur bei der Heimatzeitung bekam, entschloss er sich, das Studium zu beenden und der Leidenschaft für Lokaljournalismus nachzugehen, die ihn längst infiziert hatte. Seit 1997 leitet er die Redaktion in Schrobenhausen. Petry schätzt seine „Daily Soap“ und die unmittelbaren Reaktionen der Leser.

„So nah dran an den Menschen bist du im überregionalen Journalismus einfach nicht!“

Beim Lesen seiner Romane kann man sich – auch wenn er stets betont, Ähnlichkeiten mit lebenden Personen seien rein zufällig – des Eindrucks nicht erwehren, dass er sich die literarische Freiheit genommen hat, sich augenzwinkernd auch zwischen den Buchdeckeln selbst zu verewigen.

Bernd Zackig hackte den Text in seinen Computer, so wie er es immer gemacht hatte: mit der beliebten Zwei-Finger-Technik, die Generationen von Redakteuren auch deshalb kultivierten und pflegten, um sich vom abtippenden Teil der Branche abzuheben. Viele Redakteure seiner Zeit waren nun mal Querein­steiger, Querköpfe, gern Studienabbrecher, Menschen, die nicht daran dachten, sich ins System einzufügen, Typen, die bereit waren, sich der Obrigkeit zu widersetzen, sich gegen das Establishment zu stellen. Und solche Querdenker konnten und wollten in der Regel nicht mit zehn Fingern schreiben.

Als Lokal­journalist in der Region stößt man eher früher als später zwangsläufig auf das Thema Hinterkaifeck. Bei Petry gab es den ersten Berührungspunkt sogar noch mit der Zeit weit vor der Berufswahl: „Meinen ersten Fotoapparat habe ich mir als Jugendlicher beim Hopfenzupfen verdient, und zwar auf dem Hof einer alten Bäuerin, die noch zu den ‚Augenzeugen‘ zählte. Sie erzählte mir damals von den Ereignissen in Hinterkaifeck, seitdem begleitet mich die Geschichte. Und mein Wohnort Koppenbach ist ja nur etwa drei Kilometer von Hinterkaifeck entfernt, da wird man immer wieder in irgendeiner Form an diesen Fall erinnert.“ Mathias Petry fällt es leicht zu benennen, was die anhaltende Faszination von Hinterkaifeck ausmacht: „Das Ganze ist überaus vielschichtig. Zunächst hat man eine klassische Krimi-Szenerie, die fast an Agatha Christies Werke erinnert – alles passiert an einem in sich geschlossenen Ort. Bei der gruseligen, grausamen Tat kommen sogar zwei Kleinkinder ums Leben … und dann stellt sich die Frage: ‚Wer war der Mörder? War es jemand aus diesem geschlossenen Raum? Oder vielleicht doch ein Außenstehender?‘ Vermutlich sind Liebe und Sex involviert und dann gibt es auch noch einen militärischen Hintergrund, es bestand ja der Verdacht auf Waffengeschäfte. Zusammen ergibt das einen Fall, der fast nicht lösbar ist.“

RKX_7851_bild04Petry hat sich intensiv mit den Vorkommnissen beschäftigt, mit vielen Menschen gesprochen und ist sich mittlerweile sehr sicher zu wissen, was damals passiert sein könnte. „Der letzte Beweis fehlt jedoch, und bevor der nicht offengelegt ist, kann man die Geschichte nicht abschließen.“ Der Autor weiß, dass der Vorfall die Menschen in der Gegend über ein voyeuristisches Interesse hinaus berührt, schließlich gab es in der Folge etliche Verwerfungen in den umliegenden Dörfern. Mag sein, dass das Verbrechen lange her ist, doch die in der Folge kursierenden Verdächtigungen und Spekulationen betreffen auch Familien (beziehungsweise die erste Generation der Nachkommen), die heute noch in der Gegend leben. In „Kainegg“ greift Petry das vielschichtige Motiv auf, er möchte ein bisschen Licht ins Dunkel bringen und der Geschichte von Hinterkaifeck die Schwere nehmen

Vielleicht ist es ganz gut, wenn man die Ernsthaftigkeit der Geschichte endlich ein bisschen aufbricht. Hier haben die Menschen lange genug unter der Geschichte gelitten.

Man hat sich gegenseitig verdächtigt und angeschwärzt. Weißt, da waren etliche aus der Gegend vor Gericht, teilweise im Gefängnis. Keiner hat dem anderen getraut damals. Und noch Jahrzehnte danach. (…) Heute ist das alles schon ein ganzes Stück weit weg. Und das ist vielleicht gut so, erzählt die Postlerin Steffi ihrer Tante Bettina, die sie in Hudlhub besucht. Bettina ist fasziniert und forscht auf eigene Faust weiter. Dabei macht sie sich nicht nur Freunde, erst recht nicht, als sie einen Roman mit dem Titel „So öd“ schreibt, der auf dem besten Weg ist, ein Besteller zu werden

Einen eigenen Bestseller hat Petry noch nicht geschafft, aber auf die vierstellige verkaufte Auflage kann er stolz sein. Schließlich verlegt er die Romane in Eigenregie und es gibt (noch) keine professionelle Vermarktung. „Ich bin mir sicher, dass meine Bücher nicht allen Leuten gefallen. Aber inzwischen weiß ich, dass es Leser gibt, die mögen, was ich schreibe. Und das ist schön! Ob das jetzt wenige sind oder wahnsinnig viele, kann ich nicht einschätzen. Momentan bin ich ja ausschließlich regional unterwegs, trotzdem hab ich von meinem ersten Roman gleich 35 Exemplare nach England verkauft. Keine Ahnung, wen das dort interessiert. Und ich erhalte sogar schon Zuschriften von Lesern, die nach Fortsetzungen fragen!“ Petry betreibt sein Hobby mit viel Enthusiasmus, ohne sich in Illusionen zu verlieren. Er sieht dem weiteren Schicksal seines halb fiktiven Dorfes und seiner Protagonisten gelassen entgegen, getreu dem Hudlhubber Motto: Nur ned hudln! Übrigens: Über den Hausmeister im Oberdummeltshausener Swingerclub dürfen wir leider noch nichts schreiben, der wird erst im dritten Roman von Matthias Petry seinen Auftritt haben. Erscheinungstermin ungefähr Frühjahr 2017. Wir werden berichten.