Weiß-blau mit grünen Tupfern

Text und Fotos: Richard Kienberger

Im Januar 1980 wird die Partei „Die Grünen“ in Karlsruhe gegründet. Hervorgegangen ist die neue Partei vor allem aus der Anti-Atomkraftbewegung. 1983 ziehen die Grünen erstmals in den Bundestag ein, 1985 wird einer der ihren, der spätere Außenminister Joschka Fischer, erstmals Minister in einem Landeskabinett. Was das alles mit Pfaffenhofen zu tun hat? Der Tag, an dem dieser Text geschrieben wird, ist der Tag nach der bayerischen Landtagswahl, bei der die Grünen ein geradezu sensationelles Ergebnis eingefahren haben. Einst als sektiererische Ökospinner und unverbesserliche Utopisten verschrien, haben sich die Grünen (zumindest in Bayern heißen sie im täglichen Sprachgebrauch immer noch so, auch wenn daraus nach der Wiedervereinigung der offizielle Name „Bündnis90/Die Grünen“ geworden ist) „in die Mitte der Gesellschaft“ vorgearbeitet, wie viele Analysen nur leicht variiert konstatieren. Was sich hier in einem bemerkenswerten Wahlergebnis manifestiert hat, lässt sich aber en miniature ebenso gut an der Geschichte eines Pfaffenhofener Geschäfts nachlesen, das viel mit Grün, Öko und dem Bewusstsein für nachhaltiges Handeln zu tun hat. Also genau den Themen, die zum Markenkern der Grünen gehören. Auch wenn nicht jede Kundin und jeder Kunde eines Bio-Ladens zwangsläufig sein Kreuz bei dieser Partei machen wird. Gesunde Ernährung und Lebensweise haben ja nicht direkt etwas mit der Präferenz für eine Partei zu tun. Die Einstellungen progressiver Menschen decken sich in diesem Punkt oft mit wertkonservativen Anschauungen. Naturkost Mandala heißt das Geschäft, das 1981 eröffnet wurde und seit Kurzem in den umgebauten Geschäftsräumen des vormaligen Autohauses Stiglmayr in der Ingolstädter Straße einen neuen, lichtdurchfluteten und großzügig dimensionierten Standort bezogen hat.

In den 37 Jahren seines Bestehens ist Mandala eine Institution geworden in Pfaffenhofen und damit eine Erfolgsgeschichte, die 1981 in der Form sicher nicht zu erwarten war.

Zu der Zeit, als die Öko-Partei gegründet wurde und Pfaffenhofen seinen ersten Bioladen bekam, vollzog sich in der Gesellschaft ein tiefgreifender Bewusstseinswandel. In der Nachkriegsgesellschaft hatte sich kaum jemand Gedanken darüber gemacht, wie Tiere auf den Bauernhöfen und in den immer größer werdenden Ställen der industriell betriebenen Landwirtschaft gehalten wurden oder wie „gesund“ ein Nahrungsmittel ist. Allerdings ging dieser Prozess des Umdenkens nicht schleichend vor sich, sondern war eher eine Spätfolge der Auseinandersetzungen der 68er-Jahre – eine langwierige Konfrontation zwischen konservativen (stellenweise auch reaktionären) Kräften, die den Status quo nicht groß antasten wollten und Atomkraft als clevere, moderne Technologie mit minimalem Risiko ansahen, sowie vorwiegend jungen Menschen, die sich mit den „Grenzen des Wachstums“ auseinandersetzten und ihr Unbehagen mit der Politik der etablierten Parteien unter anderem in der Friedens- und Anti-Atomkraft-Bewegung zum Ausdruck brachten. Der atomare GAU von Tschernobyl 1986 tat ein Übriges, um dem bereits eingesetzten Gesinnungswandel nun auch bei der Gesamtbevölkerung zu einer breiteren Basis zu verhelfen. Diese Rahmenbedingungen – wer alt genug ist, wird sich noch an viele Details erinnern – waren letztlich der Humus, auf dem auch ein Laden entstehen konnte, der „bio“ nicht als Zufall, sondern als programmatisches Fundament begriff. Zugleich war dafür eine gewaltige Portion Idealismus unabdinglich, denn die Schar der Leute, die Anfang der Achtzigerjahre zumal in einer Kleinstadt in einem Geschäft einkaufen ging, das mit dem neuen Schlagwort „ökologisch“ für sich warb, war durchaus überschaubar. Oder, um alle Vorurteile und Klischees auf den Punkt zu bringen: Wer schon außer linken Lehrern, Sozialpädagogen im selbst gestrickten Wollpullover und ähnlichen Außenseitern ließ sich in einem Laden blicken, in dem es Müsli, Vollkornbrot und dito Nudeln gab? Bio war ja eher ein Schimpfwort und weit davon entfernt, zum weithin akzeptierten Lebensgefühl zu werden. Letztlich grenzte sich damals auch deutlich vom Mainstream ab, wer in einem derartigen Geschäft einkaufen ging, egal ob das jetzt in Pfaffenhofen oder in irgendeiner anderen deutschen Stadt war.

Der erste Standort des Naturkostladens Mandala befand sich im Hofberg, der rechtwinkligen Gasse hinter dem Landratsamt, die die Ingolstädter Straße mit dem oberen Hauptplatz verbindet. Ja, schon irgendwie im Zentrum, aber der Hofberg war damals noch nicht saniert und sicher keine exklusive Geschäftsadresse. Das Sortiment war klein, schließlich gab es 1981 noch nicht viele Produzenten, die organisch wirtschafteten und entsprechende Produkte erzeugten. Auch aufseiten der Bauern waren entsprechende Vermarktungs- und Kontrollorganisationen erst im Ent stehen begriffen. So wurde der bekannte Verband Naturland 1982 gegründet.

Später zog der Naturkostladen um an den Schwarzbach, 1996 dann hundert Meter weiter in einen neu erbauten Block mit Wohn- und Geschäftsräumen an der Münchener Straße, gegenüber der evangelischen Kirche. Vor allem mit dem Umzug vom Schwarzbach in die Münchener Straße wurde auch äußerlich erkennbar, dass das Mandala nicht mehr in einer Nische arbeitete, sondern zu einem, in Anführungszeichen, normalen Geschäft geworden war. Das Angebot hatte sich in rund fünfzehn Jahren ebenso verändert wie die Kundenstruktur. Auch nach dem neuerlichen Umzug in die Ingolstädter Straße ist der Name unverändert Naturkost Mandala, wird aber beispielsweise auf der Webseite mit einem „Biomarkt“ ergänzt; ein Hinweis darauf, dass es hier längst nicht mehr nur ökologisch erzeugte Lebensmittel zu kaufen gibt, sondern ein breit gefächertes Angebot an grünen Produkten.

Was ist die oben zitierte Mitte der Gesellschaft?

Letztlich bleibt es ein schwammiger Begriff, vielleicht ist es nur ein Synonym für den Mainstream, für mehrheitsfähige Meinungen und Lebensentwürfe. Gesundheitsbewusst und nachhaltig (noch eine unscharfe Klassifizierung) zu leben ist inzwischen definitiv zu einem mehrheitsfähigen Anliegen geworden, letztlich aber auch zu einer Frage des Einkommens und/oder der persönlichen Präferenzen. Wer gesund leben will, muss fraglos mehr Geld ausgeben. Für das Öko-Haus, für Öko-Energie, für schadstoffarme Fair-Trade-Kleidung oder ökologisch erzeugte Lebensmittel. Weil grün wirtschaftende Betriebe nicht die Kostenvorteile einer gnadenlos auf Rendite getrimmten Massenproduktion realisieren können oder weil die nachhaltige, umweltschonende Herstellung von Waren aufwendiger ist. Und weil dazu vielfach die Bereitschaft kommt, über die Bedingungen nachzudenken, unter denen ein Produkt erzeugt wird, über Lieferketten und gegebenenfalls über die Situation der Erzeuger, die für ihre Arbeit fair entlohnt werden sollen. Wobei das Kaufverhalten vieler Konsumenten einen Kompromiss darstellt, der „reinen Lehre“ folgt sicher nur eine Minderheit.

Vielleicht braucht es ja individuell einschneidende Erlebnisse, um mit diesem Nachdenken zu beginnen.

Gisela Rothbucher jedenfalls, nach 25-jähriger Mitarbeit seit 2012 alleinige Inhaberin von Naturkost Mandala, berichtet, dass vor allem viele junge Mütter und Familien unter den Kundinnen ihres Geschäfts sind. Es könnte sein, dass in manchen Familien das geschärfte Bewusstsein für ein möglichst gesundes Leben sogar weitergegeben wird: „Inzwischen kommen zum Teil schon die Kinder von ‚alten‘ Stammkunden zu uns ins Geschäft. Unsere Kundinnen und Kunden haben sicher ein ausgeprägtes Gespür für Schlagworte wie Fair Trade und ‚billig‘. Aber ich sehe schon noch eine Notwendigkeit, das tiefer in der Gesellschaft zu verankern und das Bewusstsein für Zusammenhänge zu schulen“, sagt Gisela Rothbucher. Weil sich nicht zuletzt aufgrund der vielen nach Pfaffenhofen zugezogenen Mitbürger Anspruch und Kaufverhalten stark verändert haben, war es für Rothbucher keine Frage, dass sie auch ihr Sortiment kontinuierlich ausweiten musste – die Anzahl der vorrätigen Artikel hat sich seit den Anfängen vervielfacht. Inzwischen sind es zwischen 3500 und 3700 Posten, die im Biomarkt erhältlich sind. „Ich dachte lange, dass ich das Geschäft im kleineren Laden in der Münchener Straße halten kann. Da hatten wir eine Verkaufsfläche von rund 80 Quadratmetern. Aber irgendwann ging das einfach nicht mehr. Als ich von der Möglichkeit erfahren habe, die Räumlichkeiten in der Ingolstädter Straße zu mieten, sah ich das als große Chance. Mit dem Eigentümer gab es schnell eine Einigung, im März 2018 sind wir hier eingezogen.“

Jetzt kann sich das Vollsortiment auf 270 Quadratmeter Verkaufsfläche ausbreiten. Es gibt eine schöne, große Käsetheke mit reichhaltigem Angebot, natürlich frisches Obst und Gemüse, offenes Getreide, offene Nüsse und Hülsenfrüchte, Backwaren, Getränke (unter anderem glutenfreies Bier) sowie viele Convenience- und Körperpflegeartikel, um nur einen Teil aufzulisten. Darüber hinaus machen vegane Lebensmittel und Produkte inzwischen einen bedeutenden Teil des Sortiments aus. Da möglichst regionale Produktionsketten ein wichtiger Aspekt ökologischen Wirtschaftens sind, bezieht Rothbucher Obst und Gemüse zum überwiegenden Teil von Bio-Produzenten aus der Region. „Wenn Karotten, Äpfel oder Salat richtig reif erst einen Tag, bevor sie zu uns ins Geschäft kommen, geerntet werden, schmecken sie ganz anders als die übliche Großhandelsware in den Supermärkten.“ Auch Eier kommen aus der Region und werden von Biobauern zugeliefert, die ihre sprichwörtlichen glücklichen Hühner in mobilen Freilaufställen halten, wobei die Standplätze regelmäßig gewechselt werden. Äußern Kundinnen oder Kunden bestimmte Wünsche, nimmt Gisela Rothbucher die Anregungen gerne auf, sofern die in das Sortiment passen und ihrem Anspruch gerecht werden. Darüber hinaus müssen alle Artikel den strengen Ansprüchen genügen, die vom Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) festgelegt wurden, nach dessen Vorgaben der Biomarkt Mandala arbeitet.

„Wir müssen alle zwei Jahre nachweisen, dass das Sortiment den definierten Anforderungen entspricht“, berichtet die Inhaberin.

„Das kostet mich viel Geld, ist es mir aber wert.“ Auch wenn Rothbucher nach eigener Darstellung die Bioangebote der großen Supermarktketten (zum Teil sind das jeweils Eigenmarken) nicht als direkte Konkurrenz von Naturkost Mandala wahrnimmt, ist das doch ein Statement, dass hier kompromisslos „bio und öko“ angeboten werden. So gesehen lässt sich auch in der Ingolstädter Straße 37 beobachten, wie viel Grün in den letzten Jahren in das weiß-blaue Bayern getupft worden ist.