Pilze aus dem Bierkeller

Text: Sophia Blank  // Fotos: Richard Kienberger

In die Schwammerl gehen. Das machen viele. Normalerweise begibt man sich dafür aber in den Wald, und zwar nicht im Hochsommer, sondern im Herbst. Wenn eben die Waldschwammerl gerne wachsen. Bei der Firma Ulrich, die ihren Sitz am Rand des Wolnzacher Ortsteils Gosseltshausen hat, sieht das „In-die-Schwammerl-Gehen“ anders aus: Die Pilzzucht hat ihre Ursprünge in riesigen, knapp 300 Jahre alten Bierkellern, in denen seit Jahrzehnten Pilze angebaut werden.

Franz Ulrich jun., der seit 1999 den Familienbetrieb in dritter Generation leitet, erzählt von den Anfängen des Unternehmens. „In den späten 1940er-Jahren war die Pilzzucht relativ weit verbreitet. Nach dem Krieg waren die Lebensmittel knapp, und da Pilze dunkle Umgebungen bevorzugen, begann man, sie in U-Bahn-Schächten, Bunkern und auch Bierkellern zu kultivieren.“ 1948 gründete Ulrichs Großvater den „Julius Ulrich Viktualienhandel“, anfangs mit frischen Eiern, Gemüse, Obst und Waldpilzen. Die „Champignonzucht Ulrich“ gründete dann die zweite Generation, Franz Ulrich sen. Die Idee, Pilze in den Bierkellern des eigenen Anwesens in Gosseltshausen zu züchten, nahm schnell Gestalt an und kurzerhand wurden in den weitläufigen Räumen weiße und braune Champignons angebaut, die auch heute noch den größten Teil des Umsatzes des Familienbetriebs ausmachen.

Die Eigenschaften dieser Bierkeller sind nicht nur für die Lagerung des bayerischen Grundnahrungsmittels (zumindest behaupten das die Traditionalisten) optimal. Die natürliche Kühlung, die über das ganze Jahr hinweg konstant ist, die hohe Luftfeuchtigkeit, eine gute Belüftung und die Dunkelheit bieten Pilzen die optimale Umgebung für ein gleichmäßiges und ungestörtes Wachstum. Dass die Zucht unter diesen Bedingungen weitgehend energieunabhängig ist, kommt als großer Pluspunkt nicht nur damals, sondern besonders auch heute noch dazu.

Franz Ulrich jun., der seit 1999 in der dritten Generation mit großer Leidenschaft und Freude den Familienbetrieb leitet, berichtet über die Ursprünge des Unternehmens.

Knapp fünf Tonnen Champignons verlassen jede Woche die Lagerhalle in Gosseltshausen. Ein Großteil davon landet auf dem eigenen Stand in der Münchener Großmarkthalle, den die Ulrichs seit Mitte der 1980er-Jahre betreiben. Diese Menge sei verhältnismäßig klein, betont Franz Ulrich. „Wir sind ein sehr kleiner Betrieb. Große Unternehmen produzieren im industriellen Maßstab und kommen pro Woche auf ca. 300 Tonnen.

Dafür sind unsere Räumlichkeiten und auch unsere Prozesse überhaupt nicht ausgelegt.“ Die empfindlichen Pilze werden in Gosseltshausen noch von Hand geerntet – bei den Champignons bedeutet das, dass jeder einzelne vorsichtig aus der Erde gedreht, geputzt bzw. der Stiel entfernt und je nach Größe direkt in die Endverpackung sortiert wird. „Die Schwammerl sind so empfindlich, dass unbedingt vermieden werden muss, dass der Pilz drei- oder viermal angefasst wird“, erklärt der Geschäftsführer. Die Zuchträume der Champignons sind mittlerweile von den Bierkellern in eine separate Halle umgezogen worden. Dort kommen sie direkt nach der Ernte in einen Schnellkühler, der die Temperatur auf ca. 3 °C absenkt und so das Wachstum der Pilze stoppt. Dadurch bleiben sie länger frisch. Der Anbauzyklus der Pilze ist ein sorgfältig abgestimmter Prozess. Etwa sechs Wochen lang wächst im Substrat bereits das Pilzmyzel heran, bis es in der sogenannten Anwachsphase eine Woche lang bei 20 °C ruht. Danach bilden sich bei ca. 17 °C kleine Knöpfchen, die durch häufiges Gießen zu Champignons heranwachsen. Nach einigen Tagen kann bereits geerntet werden, denn gerade der Champignon ist ein echter Wachstums-Champion. Sein Fruchtkörper – so wäre eigentlich die richtige Bezeichnung für das, was wir als „Pilz“ bezeichnen – verdoppelt seine Größe im Laufe eines einzigen Tages. Tausende und Abertausende kleine weiße und braune Schirme gedeihen auf dem Substrat und machen deutlich, dass in der Redensart „wie Pilze aus dem Boden sprießen“ viel Wahrheit steckt.

Die Pilze wachsen so schnell, dass es zwei bis drei Tage dauern kann, bis die Pflückerinnen alles geerntet haben, erklärt Franz Ulrich. Von Montag bis Freitag wird erntefrische Ware zur Großmarkthalle gebracht. „Um Mitternacht beladen wir den Lkw, damit wir gegen 2 Uhr in München alles ausladen und für den Verkauf vorbereiten können“, erzählt er. Schlaf ist in diesem Job nur etappenweise möglich, aber er schmunzelt und meint dazu nur: „Man gewöhnt sich dran, das geht schon!“ Betrieb bedeutet bei einem Familienbetrieb körperlich anstrengende Arbeit an sieben Tagen in der Woche.

„Freitags ist meistens unser pflückfreier Tag, denn wir versuchen, am Mittwoch und Donnerstag alles abzuernten und auf dem Großmarkt alles für das Wochenendgeschäft zu verkaufen. Dann schnaufen wir kurz durch und am Sonntag geht es wieder weiter – für das Geschäft am Großmarkt Montagfrüh.“ Etwa drei Erntezyklen können mit dem Substrat durchgeführt werden, dann wird es ausgetauscht und der Prozess beginnt von vorne.

Doch es wird nicht jeder Champignon, der eine gewisse Größe erreicht hat, aus dem Substrat gedreht. Immer wieder sieht man einige sehr große Exemplare, die übrig gelassen werden. „Das ist der sogenannte Bayerische Paraplue“, erkärt Franz Ulrich. „Den gibt es unter diesem Namen nur bei uns.“ Eigentlich ist es „nur“ ein ausgewachsener brauner Champignon, der aufgrund seines intensiveren Geschmacks besonders deliziös ist. Der Absatzmarkt war und ist jedoch schwierig, ergänzt Ulrich: „Für die meisten Leute muss ein Champignon eher klein sein. Bei den großen Exemplaren hörte man früher dann schon gerne einmal ‚Das ist ja ein alter Schwammerl!‘. Die Familie hatte dann eine Idee: In den USA war die Pilzart bereits unter Portobello bekannt, er sah ihn an und meinte: ‚Der sieht aus wie ein Regenschirm, dann nennen wir ihn jetzt einfach ‚Paraplue‘!“ Gesagt, getan. Man gab dem Kind einen Namen und schon wurde daraus eine Delikatesse, die in Kennerkreisen eine beliebte Alternative zum herkömmlichen braunen Champignon darstellt.

Eine optimale Umgebung für ein gleichmäßiges und ungestörtes Wachstum der Pilze entsteht durch gute Belüftung und Dunkelheit, wie sie in alten Bierkellern vorzufinden sind.

Neben Champignons gibt es bei den Ulrichs auch noch weitere Pilze für Feinschmecker. In den alten Bierkellern, die nach dem Bau der Halle für die Champignons lange Zeit leer standen, lagern mittlerweile wieder in zahlreichen Regalen Köstlichkeiten. Dort, im Finsteren, wachsen verschiedene Pilzsorten wie Shiitake, Austernpilze oder Kräuterseitlinge. Mit den Edelpilzen hat sich Franz Ulrich einen kleinen Traum erfüllt: „Der Platz war lange Zeit ungenutzt. Ich wollte wissen, ob wir auch Edelpilze kultivieren können und so führte eins zum anderen“, erklärt er. Dabei folgt der Unternehmer aber einem recht pragmatischen und zugleich nachhaltigen Ansatz: „Bei uns wachsen alle Sorten unter den gleichen Bedingungen. Es gibt Sorten, die hätten es gerne ein Grad wärmer, die anderen bräuchten mehr Belüftung, um ein optimales Wachstum sicherzustellen. Aber dadurch, dass wir in den Räumen dort unten weitgehend energieunabhängig sind, nehmen wir ein langsameres Wachstum gerne in Kauf.“ Gerade in Zeiten der Inflation ist die Energieunabhängigkeit ein wertvolles Gut, das man gerne bewahrt. Geerntet wird je nach Sorte im Gegensatz zu den Champignons erst nach mehreren Wochen bis zu einigen Monaten. Danach wird in industriellen Zuchten das Pilzsubstrat bei den Edelpilzen normalerweise ausgetauscht, um möglichst schnell die nächsten Pilze zu ernten. Anders bei Franz Ulrich: „Wir haben genügend Platz und das Pilzmyzel im Substrat bildet meistens noch mal neue Fruchtkörper“, meint er. „Wenn noch mal was draus wächst, ist das doch schön. Und wenn nicht, ist es auch nicht schlimm!“

Ein besonderer Exot im Sortiment der Gosseltshausener Pilzzucht ist der Pom Pom, der aufgrund seines Aussehens auch Löwenmähne oder Igelstachelbart genannt wird. Dieser Pilz wird vorwiegend im asiatischen Raum wegen seiner gesundheitsfördernden Eigenschaften kultiviert. In seinem Geschmack erinnert er an Kalb- oder Hühnerfleisch. Franz Ulrich erzählt von einer Studentin, die im Rahmen ihres Studiums in Freising den Pom Pom so zubereitet hat, dass er einem „echten“ Steak zum Verwechseln ähnlich ist – optisch wie geschmacklich. Mittlerweile habe sie sogar ein Patent darauf, weiß Ulrich. „Die Zusammenarbeit mit der Universität in Freising besteht schon seit Jahrzehnten“, erklärt er. „Das hat mit meinem Vater damals angefangen und wenn Dozenten sich für Pilze interessieren, besuchen sie uns mit ihren Kursen immer noch.“ Aus der jahrelangen Partnerschaft haben sich schon einige interessante Projekte aufgetan. Ein großer Wunsch von Franz Ulrich wäre es, dass sich wieder einmal ein Studierender fände, der mit ihm gemeinsam die Edelpilzzucht vorantreibt und optimiert. „Mir fehlt dazu einfach die Zeit, mich noch intensiver damit zu beschäftigen“, sagt der Geschäftsführer.

Franz Ulrich hat das Erbe seines Großvaters bewahrt und gleichzeitig neue Ideen in den Betrieb integriert. Ein besonderes Anliegen war ihm, Ansätze zu entwickeln, nicht verkaufte Pilze weiter zu verwerten. „Die würden ansonsten tatsächlich einfach weggeworfen werden“, gibt er zu bedenken. Der Einfall, Pilzrezepte zu entwickeln und selbst herzustellen, kam ihm dabei schon vor Jahren. Umgesetzt werden konnte sie dann in (oder wegen) der Coronazeit. „Starkoch Alexander Herrmann bezieht seit vielen Jahren seine Pilze von uns und seine Köche hatten quasi im Lockdown nichts zu tun. Dann haben sie für uns verschiedene Pilz-Bolognese-Soßen kreiert und so ist die Idee immer weiter gereift“, erzählt der Unternehmer und ergänzt: „Bis wir dann noch einen Betrieb gefunden haben, der uns die Soßen auch produziert, hat es noch mal einige Zeit gedauert. Bei den Rezepten mussten wir auch noch mal ein paar Feinheiten ändern, aber seit letztem Jahr gibt es ‚Ulrich’s Pilz-Bolognese‘ in drei verschiedenen Sorten sowohl in unserem Onlineshop als auch bei ausgewählten Einzelhändlern zu kaufen. 100 % vegan, gesund und frei von künstlichen Aroma- und Farbstoffen“, erzählt er stolz und betont dabei die regionale und nachhaltige Herstellung.

Edelpilze sind hochwertige, kultivierte Pilzarten, die aufgrund ihres besonderen Geschmacks, ihrer feinen Textur und ihres hohen Nährwerts geschätzt werden und häufig in der gehobenen Küche Verwendung finden.

Generell tue der Trend zu fleischlosem Essen der Pilzbranche gut, davon ist Franz Ulrich überzeugt. Sein Favorit ist übrigens der Shiitake-Pilz: „Wir nutzen ihn auch zum Würzen von Gemüsesuppen. Der Shiitake ist reines „umami“ – wenn der nicht drin ist, dann fehlt einfach etwas!“, schwärmt er. Der Edelpilz wird vor allem in Fernost schon seit Hunderten von Jahren nicht nur als Nahrungsmittel, sondern auch als Heilpflanze verwendet und ist mittlerweile auch in Europa, den USA und Russland äußerst gefragt. In der Traditionellen Chinesischen Medizin (mehr dazu in unserer 26. Ausgabe) wird der Pilz unter anderem wegen seiner cholesterinsenkenden Eigenschaften eingesetzt oder seine entzündungshemmenden Effekte werden zur Unterstützung bei der Krebstherapie genutzt. Mehr als andere Zuchtpilze erinnert sein Aroma an das von Waldpilzen. In Europa kommt der Shiitake allerdings nicht heimisch vor und wird ausschließlich in speziellen Gewächshäusern mit hoher Luftfeuchtigkeit gezüchtet.

Ganz anders sieht es bei Steinpilzen und Pfifferlingen aus, die die Ulrichs zur Saison ebenfalls vertreiben. „Diese Waldpilze lassen sich nicht züchten und werden bis heute noch in freier Wildbahn gesammelt. In Deutschland wird es immer schwieriger, vor allem Pfifferlinge zu finden, deshalb beziehen wir diese von unseren langjährigen Partnerbetrieben aus Polen“, ergänzt er und erklärt dabei auch den Unterschied zwischen den Pilzen: „Im Gegensatz zu beispielsweise Champignons oder den Edelpilzen aus dem Bierkeller brauchen Trüffel, Pfifferlinge und Steinpilze immer einen lebenden Baum, um wachsen zu können. Zuchtpilze hingegen sind Zersetzer und wachsen auf Totholz.“ Für den einen sind die Waldpilze eine echte Delikatesse, andere sehen in ihnen eine potenzielle gesundheitliche Gefahr. „Nach wie vor“, sagt Franz Ulrich, „ist das ein Thema. Pilze filtern Schwermetalle. Sie können beispielsweise Cadmium, Blei und Quecksilber aus dem Boden aufnehmen. Deswegen sind sie tendenziell eher belastet als beispielsweise Bäume. Aber ehrlicherweise besteht bei einem normalen Konsum keinerlei Gefahr. Denn wie so oft macht auch hier die Menge das Gift: Bis der Verzehr von Waldpilzen negative gesundheitliche Auswirkungen hat, müsste man täglich 200 bis 300 Gramm davon essen und das ist sehr unwahrscheinlich.“

Ob ein Pilzzüchter wie er in seiner Freizeit auch in die Schwammerl geht? „Eigentlich würde ich schon gerne“, lacht Ulrich, „aber ich kenne kaum welche!“ Verwechslungsgefahr sei in unseren Wäldern doch bei einigen Sorten gegeben, das Risiko, als „Unkundiger“ einen giftigen Pilz zu
er
wischen, also nicht gering. Da lässt er sich dann doch lieber die hauseigenen Zuchtpilze schmecken – paniert, gebraten oder gerne auch mal roh.

Der Pom Pom, auch bekannt als Igelstachelbart, zeichnet sich durch seine auffällige, weiße, pompom­- artige Struktur und seinen delikaten, an Fleisch erinnernden Geschmack aus.