Mein Hopfen-Praktikum in der Hallertau
Text: Julia Bähr | Fotos: Richard Kienberger
Wer mit Johanna Fuß verabredet ist, muss früh aufstehen. Um 7.30 Uhr klingelt das Telefon: „Wenn Sie Gummistiefel haben, ziehen Sie welche an!“, rät die Hopfenbäuerin sicherheitshalber. „Es ist matschig draußen.“
Matschig, in der Tat.
Und auch verdammt kalt, stellen wir fest, als wir drei Stunden später zusammen über einen Feldweg stapfen. Dass der Frühling in diesem Jahr so spät kommt, macht zwar dem äußerst robusten Hopfen nichts aus – aber für die, die ihn anbauen, ist die Kälte kein Spaß. Im Winter können sie den vereisten Boden noch gut für ihre Zwecke nutzen, denn dann fahren sie mit dem Traktor darüber und bringen in etwa sieben Metern Höhe die neuen Drähte an, an denen der Hopfen hinaufwachsen kann. Und zwar nie links herum. „Hopfen ist eine rechtswindende Pflanze“, erklärt Johanna Fuß.
Anfang April werden die lose herabhängenden Drähte dann ins Erdreich gesteckt. Dabei sind die Temperaturen um den Gefrierpunkt nicht besonders hilfreich – alleine schon deswegen, weil die Füße in den Gummistiefeln bereits nach zehn Metern nicht mehr zu spüren sind. Johanna Fuß zieht von rechts und links je einen Draht heran und tritt damit zu einer etwa zwei Meter entfernten Pflanze. Sie bückt sich, um die erforderliche Länge abzumessen, und dreht mit einer raschen Handbewegung eine Schlinge in die Drähte. Diese Schlinge drückt sie mit den Zacken eines Metallstockes tief in die Erde neben der Pflanze, bis sie genug gespannt sind. Sie verlaufen jetzt schräg nach rechts und links und diagonal nach oben. So kann der Hopfen am besten emporwachsen.
„Versuchen Sie es auch mal!“, sagt sie und reicht mir einen zweiten Stock.
Das ist aber gar nicht so einfach.
Anfangs stehe ich ratlos da, fische nach Drähten
und kann nicht genau erkennen, welche zu der Pflanze vor mir gehören. Schließlich habe ich die richtigen gefunden, drehe eine Schlaufe – und biete ein entwürdigendes Schauspiel bei dem Versuch, sie mit den winzigen Zacken an meinem Stock richtig zu treffen. Anschließend drücke ich den Draht mit Schwung direkt neben der Pflanze, doch eine Spannung will sich nicht einstellen. Stattdessen treffe ich auf etwas Hartes und komme nicht weiter. Ein bisschen komme ich mir jetzt vor, wie die Städterin vom Schreibtisch, die auf dem freien Feld versagt. Meine Lehrmeisterin bleibt nett und geduldig, fast schon gütig: „Das ist eine Wurzel“, sagt sie. „Hopfen wächst nicht nur hoch, sondern auch sehr tief. Die Wurzeln reichen bis zu drei Metern hinunter.“
Erst als ich mir eine neue Stelle für meine Drähte suche, kann ich sie tief genug versenken.
Vom Hopfen selbst ist unterdessen noch nicht viel zu sehen:
nur ein paar Stümpfe im geglätteten Erdreich. Sie werden allerdings bald ausschlagen, und das nicht zu knapp. „50 bis 200 Triebe kommen aus jeder Pflanze“, erklärt Johanna Fuß. „Wir suchen die sechs stärksten aus und winden drei an jeden Draht. Die anderen schneiden wir zurück.“ Auf diese Weise steckt die Pflanze ihre ganze Kraft in die verbleibenden Triebe und schießt regelrecht in die Höhe. „Bis zu 30 Zentimeter wachsen die Triebe pro Tag, man kann ihnen dabei richtig zusehen“, sagt die 58-Jährige. Das macht Hopfen zu der am zweitschnellsten wachsenden Pflanze der Welt – hinter Bambus. Außerdem ist sie auch noch äußerst langlebig: Hopfen wird bis zu 30 Jahre alt. Ein zähes Gewächs also, auf dessen Wurzeln ich immer wieder mit dem Stock treffe. Nach zehn Metern finde ich recht routiniert die richtigen Drähte, spüre aber meine Schultern bereits ein wenig. Das sei ohnehin eher eine Männerarbeit, versichert auch Johanna Fuß‘ Mann, der gerade mit dem Traktor vorbeigekommen ist. Ansonsten richtet sich beim Anbau aber gerade viel nach den Frauen. „Es gibt eine Sorte, die leicht nach Mandarinen schmeckt“, erzählt der Bauer. „Und eine andere schmeckt frisch, wie Eisbonbons. Frauen mögen so etwas wohl.“ Mit diesem Hopfen können die Brauereien ihrem Bier ein bestimmtes Aroma verleihen und trotzdem dem Reinheitsgebot treu bleiben. Die meisten Hopfenpflanzen werden also keine 30 Jahre alt, weil sie vorher gegen neue Sorten ausgetauscht werden. Aktuell sind fruchtige Aromen gefragt.
Mit der gelegentlichen Hilfe ihrer drei Kinder und dem Einsatz von Saisonkräften zweimal im Jahr bewältigt das Ehepaar Fuß die viele Arbeit in den Hopfengärten. Gerade zur Erntezeit im August und September geht es auf dem Hof rund: Von morgens um 6 bis abends um 19 Uhr laufen die Maschinen und wollen unentwegt mit neuem Hopfen gefüttert werden. 15 Hektar sanft hügeliges Land bewirtschaftet die Familie aus dem winzigen Ort Egg bei Wolnzach. Darauf wachsen etwa 60.000 Hopfenpflanzen, die durchaus anspruchsvoll sind. Boden und Klima sind in der Hallertau nahezu perfekt – die Gegend ist nicht umsonst das größte zusammenhängende Hopfenanbaugebiet der Welt. Sich selbst überlassen kann man die Pflanzen deshalb noch lange nicht.
„Man sagt, Hopfen will jeden Tag seinen Herrn sehen“,
berichtet Johanna Fuß. Es drohen Spinnmilben, Blattläuse, Mehltau und ein Pilz, die alle früh erkannt und bekämpft werden müssen.
Ein so gut bewachter Hopfen kommt im Juli und August zur Blüte – er „fliagt o“, wie es in der Hallertau heißt. Ein Anflug von Blüten also. Nur aus weiblichen Blüten entwickeln sich die ährenähnlichen Dolden, während die der männlichen Pflanzen klein bleiben und für die Weiterverarbeitung uninteressant sind. Bei der Ernte werden die Pflanzen mitsamt den Drähten ganz oben abgeschnitten und landen auf einem speziellen Anhänger. Auf dem Hof zieht sie eine Maschine hinauf in die Verarbeitungsanlage, wo die Dolden zunächst vom leichteren Laub getrennt werden. Jenes kommt zusammen mit den bereits größtenteils verrosteten, klein gehäckselten Drähten zurück aufs Erdreich, wo es sich zersetzt und zugleich den Boden düngt.
Zunächst landet der Hopfen ganz oben in der Darre, einem turmähnlichen Gebäude, und wird zum Trocknen auf Gitter gekippt. Eine Ölheizung bringt die Temperatur auf etwa 40 Grad, um den Feuchtigkeitsgehalt von 80 auf acht Prozent zu reduzieren. Wann der richtige Zeitpunkt ist, den Hopfen vom Gitter zu nehmen und ein Stockwerk tiefer auf dem Holzboden auszubreiten, lässt sich aber nicht messen. „Das hat der Bauer im Gefühl“, sagt Johanna Fuß lächelnd. Leichtfüßig steigt sie die engen Holzstufen im Turm hinauf und hinunter. Ich stolpere ihr in meinen klobigen Gummistiefeln tapsig hinterher und halte mich am Geländer fest, das leise zu ächzen beginnt. Am Fuß der Treppen wartet meine Führerin geduldig auf mich. Sie ist diese Türme und die Höhe gewohnt: Schon ihre Eltern bauten Hopfen an.
Als sie mit 23 Jahren ihren Mann heiratete, kannte sie sich bereits gut aus und konnte auf dessen Hof gleich mithelfen. Ihre beiden Töchter sind Lehrerinnen geworden, aber der Sohn wird den Hof wahrscheinlich eines Tages übernehmen, wie sie zufrieden erzählt. Noch ein Stockwerk tiefer zieht sie die Tür eines Bereiches auf, in dem der Hopfen nochmals auf seine Feuchtigkeit hin kontrolliert wird. Ein betörender Duft entweicht. Hopfen hat ein ganz spezielles, sehr angenehmes Aroma. Seine beruhigende Wirkung entfaltet sich nicht erst nach dem Genuss von vier Bier, sondern wird auch seit Jahrhunderten bei Einschlafschwierigkeiten geschätzt. Das Haupt auf einem Kissen voller Dolden betten – und schnell kommt der Schlaf. Schon König George III. soll mit dieser Methode hoch zufrieden gewesen sein; und auch ich würde mich gerade am liebsten für ein Nickerchen in diese duftende, dunkle Kammer legen. Womöglich täte es mir sogar gut, im Schlaf auf ein paar Blüten herumzukauen. Als Heilkraut soll die Pflanze gegen alle möglichen Zipperlein helfen: von Blasenentzündung über Migräne bis hin zu Haarausfall. Auch in vielen Beruhigungstees kommt er vor – erkennbar am leicht bitteren Geschmack, den er auch Bier verleiht. Doch das ist nicht seine einzige Funktion. Fast noch wichtiger ist, dass er das Getränk haltbar macht. Überlieferungen zufolge nutzten schon die alten Ägypter die Pflanze zu diesem Zweck. Sie wird auch als die „Seele des Bieres“ bezeichnet.
Bei Familie Fuß landet diese Seele nach zwei Tagen Trocknung im Erdgeschoss des Turmes in einer Maschine, die ihn in Säcke presst. Zwischen 55 und 60 Kilo wiegen die Säcke, die Johanna Fuß dann in aller Eile zunäht – denn der nächste lässt meist nicht lange auf sich warten. Bis zu zehn pro Stunde kommen zu Hochzeiten heraus. Insgesamt produziert der Hof jährlich etwa 700 Zentner Hopfen, der an Großhändler verkauft wird. Die letzten Schritte vor dem Brauprozess übernehmen dann andere. Denn verwendet wird nur der gelbe Blütenstaub im Inneren, der meist zu einem Sirup verarbeitet wird. Kein klassisch gebrautes Bier kommt ohne diesen Rohstoff aus. Johanna Fuß selbst trinkt übrigens am liebsten Pils. „Da ist am meisten Hopfen drin“, erklärt sie fröhlich.
Mein Bedarf an frischer Landluft ist fürs Erste gedeckt, als ich den Maibaum von Egg umkreise und wieder in Richtung Wolnzach fahre. Aber der Frühling fängt ja gerade erst an. Würde sich so ein Hopfen auf meinem Balkon in München nicht hervorragend machen? Wie sehr die Nachbarn mich beneiden würden um meine rasant wachsenden Pflanzen mit den duftenden Blüten! Jetzt muss ich nur noch irgendwo einen drei Meter tiefen Blumentopf finden.