Mehr Meer geht nicht

Text: Volker Bergmeister // Fotos: Archiv Lederer


VON KONTINENT ZU KONTINENT IN GUT VIER STUNDEN – weder Frachtschiffe, Delfine und Quallen, Wind und Wellen noch die tückische Strömung konnten den Unternehmer und Hobby-Langstreckenschwimmer Jürgen Lederer beim Durchqueren der Meerenge von Gibraltar aufhalten:


Er schwamm im Alleingang 15 Kilometer durchs Meer – von Spanien nach Marokko. Und das in einem Element, mit dem der Unternehmer mit Sitz in Ingolstadt lange nichts anfangen konnte. Als Kind war der heute 58-Jährige nicht wasserscheu, aber auch nicht das, was man landläufig in Bayern eine „Wasserratz“ nennt. Die Leidenschaft für das Element Wasser hat Jürgen Lederer erst spät entdeckt. „Ich habe erst mit über 40 so richtig mit dem Schwimmen angefangen. Ich bin da über den Triathlon hineingerutscht“, sagt der begeisterte Hobby-Sportler. „Und so wurde das Element Wasser für mich eine Herausforderung, je größer das Freibad, je länger die Distanzen, umso mehr macht mir das Spaß!“

War es zu Beginn für den gebürtigen Mittelfranken noch der Brombachsee, so folgten bald Chiemsee und Starnberger See. „Aber immer nur aus Spaß an der Freude!“ Und die Freude wurde größer und größer. „Dann hab ich mal den Bodensee gequert, von Deutschland in die Schweiz, 12 Kilometer, das muss man auch erst mal machen“, sagt er, „und dann hat sich diese Idee breitgemacht, von Europa rüber nach Afrika, das wär was.“ Von Kontinent zu Kontinent also, auf dem kürzesten Weg sind das gut 14 Kilometer.

Die Meerenge von Gibraltar, die das Mittelmeer mit dem Atlantik verbindet, zählt zu den faszinierendsten und herausforderndsten Langstreckenschwimmen der Welt. Sie ist auch Bestandteil der „Ocean’s Seven“. Als Antwort auf die „Seven Summits“ für Bergsteiger hatte der USSchwimmcoach Steven Munatones vor vielen Jahren die Idee, eine Herausforderung für Freiwasserschwimmer zu finden. Und die hat es in sich: Sieben Strecken auf fünf Kontinenten: die Cook-Straße in Neuseeland, der Nordkanal zwischen Schottland und Irland, der Kaiwi-Kanal auf Hawaii, die Tsugaru-Straße in Japan, der Ärmelkanal zwischen England und Frankreich, der Santa-Catalina-Kanal bei Los Angeles und eben die Straße von Gibraltar.



Die bildet zwar die kürzeste Strecke der Ocean’s Seven, sie hat aber ganz besondere Herausforderungen: extreme Wind- und Wetterbedingungen, sehr starke Strömungen, enorm viel Schiffsverkehr, Quallenteppiche und so einiges mehr. „Von Ocean’s Seven wusste ich aber nichts, als ich mich 2014 für die Strecke angemeldet habe“, sagt Lederer, „davon habe ich erst später erfahren.“ Vier Jahre musste er auf einen Slot warten, denn so einfach kann man da nicht losschwimmen. Es gibt einen Veranstalter, der sich vor Ort um alles kümmert, ein Begleitboot stellt und das Unternehmen Durchquerung der Meerenge überwacht, damit es auch anerkannt wird.

2018 war es dann soweit. „Aus heutiger Sicht war das schon ein bisschen naiv, da ich weder vom Meer komme noch ein Schwimmer bin. Aber ich dachte, dass ich theoretisch die Möglichkeit habe, das zu schaffen“, sagt Lederer, „das hat mich fasziniert. Dann habe ich es gemacht.“ Allzu intensiv vorbereiten und trainieren konnte er für seinen ersten Versuch nicht: „Ich war beruflich sehr eingespannt“, sagt der Ausdauerschwimmer. „Ich war zehn Tage vor Ort, hab gewartet und gewartet, aber bei den Wetterprognosen bekam ich keine Chance.“

Doch er ließ sich davon nicht runterziehen, nein, er nutzte dies als Chance: „Ich habe in der Zeit vor Ort viel gelernt im Meer, unter extrem harten Bedingungen trainiert, bin schon mal durch einen Quallenteppich geschwommen, das hat mir geholfen.“



Und ihm war ja auch immer klar: „Ich bin nicht gescheitert, sondern nicht angetreten.“ Ein Jahr später folgte dann Ende September Anlauf Nr. 2. „2019 war ich richtig fit und gut drauf“, erinnert er sich. Doch nach einer knappen Stunde wurde er gestoppt. Sein Schwager im Beiboot holte ihn aus dem Wasser. „Es waren zwei Meter hohe Wellen, ich wusste teilweise nicht mehr, wo ich hinschwimme. Und drüben in Afrika war der Wind so stark, dass die Schiffe von ihrem eigenen Rauch überholt wurden“, schildert er die damaligen extremen Bedingungen. Eine Stunde Powerschwimmen, die volle Belastung, und dann Schluss — „ja, das war schon eine Belastung für mich, es war schwierig, für den nächsten Tag die Spannung aufrechtzuerhalten, denn ich hatte ja alles reingelegt“, sagt der Krauler, der dabei im Wasser stets nach rechts atmet. Kurz dachte er daran, sich ein paar Bierchen zu gönnen, doch seine Begleiter brachten ihn mit Erfolg davon ab. Das führte tags darauf zum Erfolg.

Aller guten Dinge sind ja bekanntlich drei. Und so zwängte sich Lederer erneut in seinen Neoprenanzug. Gut 60 Prozent der Schwimmer in der Meerenge von Gibraltar setzen darauf. Für ihn gab es drei Gründe: Schutz vor Quallen, der Sonne, die sonst stundenlang auf die Haut brennt, und der Kälteschutz („im Atlantik ist es arschkalt“). Und so legte er los: „Die ersten drei und den letzten Kilometer muss man nah am persönlichen Limit schwimmen“, das wusste er. Gut 14 Kilometer sind die kürzeste Distanz, er absolvierte letztlich 15,1 Kilometer. „Das ist extrem kurz, aber je schneller du bist, desto kürzer ist es, weil du nicht so stark abdriftest.“ Zwei Beiboote begleiteten ihn. Auf einem war ein Profischwimmer, der das Boot steuert und abbrechen darf, wenn er das Gefühl hat, für den Schwimmer wird es zu viel. Ein Zweiter achtet auf die Fische. Denn hier gibt es Delfine, Wale und auch schon mal Haie. Und natürlich Quallen. Schließlich war auch noch sein Schwager dabei, der ihm die Verpflegung über einen Kescher reichte oder Flaschen mit  doch konzentrierten Energiedrinks ins Wasser warf. „Das Boot darf man nicht berühren, sonst ist man raus“, sagt Lederer. Die Aufnahme der Verpflegung hat er vorher trainiert, denn das muss fix gehen. „Du kannst nicht kurz Pause machen, dann driftest du schnell wieder ab und musst einen längeren Weg schwimmen.“ Das zweite Begleitboot koordiniert den  Schiffsverkehr, denn die Straße von Gibraltar gilt als eine der meist befahrenen Strecken der Welt. Einmal tauchte ein riesiger Tanker auf, den bat man, dem Schwimmer auszuweichen, damit der nicht einen Umweg machen muss. Aber Lederer hatte sich im Vorfeld auf die Widrigkeiten nicht nur körperlich, sondern auch mental bestens eingestellt: „Das ist ein fremdes Medium, das Meer ist kein Wunschkonzert. Und ich wusste, wenn ich da reinspringe, bin ich nicht allein.“



Ans Aufgeben dachte Lederer nie. Klar gab es manchen Hänger, doch als es mal schlimmer wurde, puschte ihn sein Schwager vom Boot aus mit den Worten: „Es ist dein Wind, es ist deine Welle, es ist nur für dich.“ „Aber ein richtiges Tief hatte ich nie“, erinnert sich der Hobby-Langstreckenschwimmer. „Ich wusste, die Zeit vergeht so oder so, ich schwimme einfach, solange ich noch Kraulzüge machen kann.“ Wenn man ihn am Ende gefragt hätte, ob er drei oder sechs Stunden geschwommen ist, er hätte es nicht sagen können: „Ich hatte kein Gefühl, aber die Strecke in vier Stunden, das ist unfassbar!“

„Kurz vor der marokkanischen Küste habe ich dann an einem Punkt den Boden gesehen, da bin ich fast erschrocken“, beschreibt er, „aber ich hab mir gesagt: Gas geben und ruhig  leiben.“ Als er es geschafft hatte, war die Freude riesig. Dann kam auch schon eine Grenzpatrouille und kontrollierte die Dokumente. Danach ging es mit dem Begleitboot zurück nach Spanien. „Da hab ich erst realisiert, wie weit ich geschwommen bin.“ Und ich dachte: „Manchmal ist es gut, wenn man vorher nicht weiß, was da auf einen zukommt.“

Ob er aus diesem Abenteuer etwas fürs Leben mitgenommen hat? Lederer überlegt lange: „Das ist schwer zu sagen. Aber wenn ich an die Pandemie denke, die danach kam, kann ich sagen: Wir sind gut durch diese Zeit gekommen. Vielleicht auch, weil ich gelernt habe: Jammern hilft ja im Meer auch nichts.“ Jetzt geht der begeisterte Triathlet und Schwimmer langsam auf die 60 zu, doch das Meer zieht ihn weiter an.

Und topfit ist er auch. Folgt eine weitere Ocean’s-Seven-Strecke? „Nein, es muss mir gefallen“, sagt Lederer. Und so peilt er im Jahr 2024 das Mittelmeer an: „Ich will die Straße von Bonifacio durchqueren.“ Die Meerenge zwischen Korsika und Sardinien ist etwa 12 Kilometer breit und benannt nach der korsischen Küstenstadt Bonifacio.

„Die Strecke ist eher unbekannt, die haben bisher gerade mal so 50, 60 Leute bewältigt“, sagt Lederer und man sieht ihm die Vorfreude auf dieses Abenteuer schon an. Er macht es ja nur aus Spaß an der Freude.