Klettersport

Text und Fotos: Richard Kienberger

Wer hat’s erfunden?

Die Schweizer, wie die Naschware im famosen Werbeclip?

In dem Fall vermutlich nicht, obwohl sie dafür durchaus infrage kämen, es hat ja genug Berge in dem kleinen Land und viele davon eignen sich auch für eine Variante des Bergsports, die in den vergangenen Jahren immer mehr Anhänger gefunden hat. Es geht um das Klettern. Aber zu ergründen, wer das Klettern erfunden hat, ist wohl ebenso schwierig wie einen Erfinder (oder eine Erfinderin) vom Laufen respektive Joggen zu benennen.

„Klettern ist die Kunst, den eigenen Weg zu finden und ihn zu gehen.“

Als die berühmte Klettermumie „Ötzi“ noch lebte, musste der Mann auf seinem Weg über die Berge, der damals noch von keinem Alpenverein ausgebaut und versichert worden war, an einigen Stellen leichte Kletterpassagen meistern wie viele andere Hirten, Nomaden oder, ein paar Tausend Jahre später, der Feldherr Hannibal, der mit seinem Heer
(inklusive Elefanten) über die Alpen zog.

Einfacher ist die Frage zu beantworten, wie sich aus der existenziellen Notwendigkeit, Felsbarrieren und ähnliche Hindernisse zu überwinden, der moderne Klettersport entwickelt hat. Der sich wiederum in viele verschiedene Spielarten aufgespalten hat. Eine Entwicklung, die einerseits immer noch dynamisch verläuft und die das Klettern andererseits bis in den erlauchten Kreis der olympischen Sportarten gebracht hat. Weil es seit einiger Zeit Varianten gibt, bei denen sich Leistungen vergleichen lassen und die sich daher als Wettkampfsport etabliert haben. Puristisch betrachtet ist Klettern ein archaischer Sport. Etwas, das nicht zuletzt dem natürlichen Bewegungsdrang von Kindern entspricht, wenn sie dafür eine Gelegenheit finden. Einen Baum, Felsen, vielleicht Mauern.

Klettern feierte sein offizielles olympisches Debüt 2020 in Tokio

Prinzipiell unterscheiden „Alpinisten“ zwischen Fels- und Eisklettern. Die beiden Bereiche überschneiden sich zwar, an dieser Stelle soll es aber um das Klettern im Fels beziehungsweise an künstlichen Wänden gehen. Viele Alpinhistoriker verorten den Beginn der Entwicklung des modernen Klettersports ungefähr im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, als eine Reihe von Bergsteigern begann, „sauber“ zu klettern. Sich also im Fels fortzubewegen, ohne die bis dahin üblichen technischen Hilfsmittel (wie Leitern) dafür zu benutzen. Vor allem aber war das primäre Ziel nicht der Gipfel eines Berges, vielmehr ging es auch um die Schönheit, Kühnheit oder logische Linie einer Kletterroute. Einer der fähigsten Kletterer jener Jahre war der Österreicher Paul Preuß, der viele Routen in puristischer Manier eröffnete, von denen einige für Jahrzehnte zum Maßstab wurden. Vermutlich bedingt durch den Zeitgeist wurden diese Bestrebungen bald überlagert. Gefragt waren heroische Eroberer, die, mit welchen Mitteln auch immer, eine Felswand oder einen Gipfel „eroberten“, gerne auch für ein Land. Diese aus heutiger Sicht zumindest fragwürdige Entwicklung setzte sich auch in den Nachkriegsjahren durch, ehe vor allem die Messner-Brüder für eine Rückbesinnung sorgten, bei dem die natürlichen Gegebenheiten – also der Fels oder eine Route – wieder mit Respekt behandelt wurden. Letztlich war das der Beginn des modernen Klettersports, der heute sowohl in der Natur als auch in künstlichen Kletteranlagen betrieben wird, womit der große Bogen zu einem Wochenende geschlagen wäre, an dem in der Nachbarschaft des Pfaffenhofener Freibads eine Gruppe von Kindern mit jeweils einem Elternteil und zwei Trainerinnen begeistert ihren Bewegungsdrang auslebt.

Modernes Klettern wird in der Natur und in Kletteranlagen betrieben

Seit elf Jahren gibt es das Kletterzentrum PAFROCK, das von der Sektion Pfaffenhofen-Asch des Deutschen Alpenvereins betrieben wird. Bei dem Kurs im Sommer 2024 geht es aber primär nicht um den Bewegungsdrang der Kinder, sondern um ein Thema, das mit dem Klettern – egal ob als Notwendigkeit oder als Klettersport betrieben – untrennbar verbunden ist: Sicherheit. „Eltern sichern ihre Kinder“ heißt der Kurs, den die lokale Sektion des DAV ausgeschrieben hat (nicht zum ersten Mal übrigens; das Angebot steht regelmäßig im Programm). Klar, auch beim Thema Sicherheit hat sich parallel zur Entwicklung des Kletterns viel getan: Die Zeiten, in denen ein Luis Trenker im Lodenjanker entschlossen von ausgesetzten Graten blickte, seine Gefährten mit dem Seil um die Schultern sicherte (viele Szenen in den Trenker-Filmen sind ähnlich unrealistisch wie die Aktionen in den James-Bond-Streifen) und damit den Zuschauern im Kino oder vor dem Schwarz-Weiß-Fernseher den Atem stocken ließ, sind längst vorbei. Andererseits passiert so etwas auch in unseren Tagen immer noch. Wenige Tage vor dem Verfassen dieses Textes sorgte die kurze Video-Sequenz eines Extremsportlers für einen dieser typischen Social-Media-Aufreger. Der Mann balancierte ohne Sicherung auf dem schmalen Watzmanngrat. Die dahinterstehende Frage war: Kann so ein Instagram-Video Menschen zur Nachahmung animieren (und damit in Gefahr bringen), die dafür nicht die notwendigen Voraussetzungen mitbringen? Zahlreiche Unfälle in den Bergen und beim Klettern unterstreichen, dass Sicherheit unverändert der wohl wichtigste Aspekt beim Klettern ist, das gilt auch für den vermeintlich geschützten Bereich der Kletterhalle, in dem lockere Felsen, das Wetter oder (nicht) vorhandene Sicherungsmöglichkeiten natürlich keine Rolle spielen. Übrigens: Der geniale Kletterer Paul Preuß stürzte mit nur 27 Jahren auf einer Solotour beim Brotzeitmachen ab, die genauen Umstände konnten nie geklärt werden.

„Der Kopf ist der wichtigste Muskel beim Klettern.“

Wie schleichen sich Fehler ein, was lässt sich dagegen tun?

Die moderne Sicherheitsforschung beschäftigte sich zunächst fast nur mit technischen Aspekten, es wurden Normen für Bergsportausrüstung definiert, neue Sicherungsgeräte entwickelt und verwendete Routinen (wie die Verwendung bestimmter Knoten) auf ihre Praxistauglichkeit überprüft. Fast unmerklich rückten aber auch psychologische Aspekte in den Fokus. Wie schleichen sich Fehler ein, was lässt sich tun, um immer wieder festgestellte Ursachen für schwerwiegende Fehler möglichst auszumerzen? Wenn Menschen aus Selbstüberschätzung der Meinung sind, die Aktionen von Extremsportlern nachahmen zu müssen, ohne die dafür nötigen Voraussetzungen mitzubringen, hilft vermutlich auch kein Kurs bei einem der alpinen Vereine oder in einer kommerziellen Bergschule. Aber gegen „menschliches Versagen“ lässt sich einiges tun, das ist die gute Nachricht.

Eltern sichern ihre Kinder

„Eltern sichern ihre Kinder“ verfolgt daher wie ähnliche Lehrgänge das Ziel, Menschen einerseits die Standards für sicheres Klettern nahezubringen und ihnen andererseits das Wissen um mögliche Fehlerquellen und die eigenen Grenzen zu vermitteln: Wer mehr will, muss weitere Kurse besuchen, den Umgang mit dem Equipment möglichst häufig üben und sich über neue Erkenntnisse und Entwicklungen auf dem Laufenden halten. In der Ausschreibung liest sich das so: „Kursziel ist das sichere Toprope-Sichern der Kinder durch ihre Eltern … Die Eltern lernen auch, sich gegenseitig zu sichern, und alle relevanten Inhalte des Toprope-Kurses. Abnahme Toprope-Schein.“ Für Kletterlaien: Beim Toprope hängt das Seil bereits in der Kletterroute, üblicherweise am Ende der Route. Es kann also zu keinem freien Fall wie im Vorstieg kommen, bei dem die Fallhöhe immer der Abstand des Stürzenden zum letzten Fixpunkt mal 2 ist. Das Angebot der Alpenvereinssektion Pfaffenhofen-Asch gliedert sich in drei Teile. Zunächst werden die Eltern zweimal geschult, erst im dritten Teil dürfen die Kinder mit und sich an den vielen bunten Griffen in der Kletterhalle nach Herzenslust austoben. 

„Im Rennen“ sind diesmal fast nur Väter und eine Mama. Bei den Kindern sieht das Bild ganz anders aus – die sechs Elternteile haben nur Mädchen mit in die Kletterhalle gebracht, wahrscheinlich ein Zufall.  Für die Väter und die Mutter waren vermutlich die beiden einleitenden Kursteile die leichtere Übung. „Ich bin doch kein Roboter“ oder „Jetzt brauche ich mal eine Pause, ich komme kaum hinterher“ sind einige der Äußerungen, die von den Eltern zu hören sind – die Energie der Kinder reicht locker für viele Routen, die sie teilweise in beeindruckendem Tempo hochjagen, immer wieder angeleitet von den Betreuerinnen Birgit Berschick und Ulrike Schwarplys. Die Eltern stehen derweil am Boden und haben Mühe, den Seildurchlauf im Sicherungsgerät dem Klettertempo der Sprösslinge anzupassen. Angst vor der Höhe scheinen die Kinder nicht zu kennen, sie fühlen sich buchstäblich sicher. „Hui, das macht Spaß“, ruft eines der Mädchen in die Tiefe und kämpft sich dabei über einen Überhang. Kaum wieder unten nimmt sie die nächste Route in Angriff. So geht das nach dem einleitenden Aufwärmprogramm Stunde um Stunde.

Zurück auf festem Boden, hat das Sextett eine der wichtigsten Regeln schon verinnerlicht: den verpflichtenden Partnercheck. Damit wurde eine alte Binsenweisheit – „vier Augen sehen mehr als zwei“ – zu einem grundlegenden Baustein beim Thema Sicherheit: Kletterer sollen sich gegenseitig kontrollieren. Also checken, ob der Partner oder die Partnerin die Kletterausrüstung korrekt angelegt hat, ob die Knoten passen und die Sicherungsgeräte richtig eingehängt wurden. Daneben lernen die jungen Klettereleven noch die korrekten Kommandos und das richtige Verhalten beim Abseilen. Damit haben sie sich das Grundgerüst für weitere Abenteuer in der Kletterhalle oder an natürlichen Felsen erarbeitet. Aber ehe die Kletterausrüstung wieder angelegt und das Erlernte in der Praxis angewendet wird, müssen sich die erschöpften Eltern erst einmal erholen.