Holz, Licht und Geschichten

Text: Sophia Blank // Fotos: Richard Kienberger

Der Lampenfischer

Für manche ist es einfach da – übersehen, übergangen, vielleicht sogar im Weg. Ein Stück Natur, das keine Beachtung verlangt. Für Johannes Fischer aus Pfaffenhofen hingegen ist das Stück Holz mehr: ein gezeichneter Zeuge vergangener Jahre, eine Skulptur – vom Wind verweht, vom Wasser geglättet, vom Leben gezeichnet. Eine Einladung innezuhalten, zu betrachten.

Was andere achtlos liegen lassen, verwandelt er in etwas Lebendiges. Der „Lampenfischer“, wie er sich selbst nennt, fischt im Verborgenen – an Wegesrändern, in alten Scheunen, auf vergessenen Dachböden. Dort entdeckt er das, was ausgedient hat: Holz, das Wind und Wetter getrotzt, das Risse, Kerben und Geschichte gesammelt hat. Für ihn ist es kein Abfall, sondern Ausgangspunkt. Bei Johannes Fischer wird aus einem toten Ast ein Lichtträger, aus einem Balken eine leuchtende Erinnerung. Die Idee dahinter: „Ich möchte das Material zurück in den Kreislauf führen. Das tote Holz darf bei mir weiterleben – mit einer neuen Sinngebung.“ Die Lampe, die am Ende entsteht, ist mehr als nur ein Gebrauchsgegenstand. Sie erzählt leise von Herkunft, von Wandel, von der Schönheit im Unscheinbaren.

Angefangen hat alles „ganz unspektakulär“, wie Fischer erzählt, mit einem alten Balken aus dem eigenen Garten. „Ich hab eine Lampe gebraucht und hab einfach gesagt: ‚Die bau ich mir jetzt selber!‘ “ Aus einer Lampe wurden zwei und dann ruhte das Thema Lichtgestaltung vorerst wieder, bevor es sich 2019 zu etwas Konkreterem entwickelte. Denn es kamen Nachfragen: Freunde, Bekannte, Neugierige, die mehr sehen wollten. Die Idee des „Lampenfischers“ war geboren – eine Mischung aus Handwerk, Fundstück und Fügung.

 

„WER MIT HOLZ ARBEITET, MUSS GEDULDIG SEIN.“

Die „Ausgangsmaterialien“ sammelt der Lampenfischer lange schon nicht mehr alle selbst. „Mittlerweile gibt es einige, die mir Äste vorbeibringen. Kunden, Nachbarn, Freunde“, erzählt er.

Geduld ist keine Tugend, sondern ein Werkzeug. Ein Baum lässt sich nicht drängen. Er wächst in seinem eigenen Tempo, formt sich über Jahre, manchmal Jahrzehnte.

Diese Haltung hat Fischer aus seiner Bonsai-Passion übernommen: beobachten, abwarten, im richtigen Moment handeln. Denn was beim lebenden Baum zu beachten ist, gilt auch für das Totholz: Es zeigt sich von selbst, wann es bereit ist. Und wenn dieser Moment gekommen ist, beginnt für Johannes Fischer die eigentliche Arbeit – mit Respekt vor dem, was schon da ist, und einem klaren Blick für das, was daraus werden kann. In seiner „Bastelstube“, wie er seine Werkstatt liebevoll nennt, wird aus einem toten Ast ein Lichtträger, aus einem Balken eine leuchtende Erinnerung. Stück für Stück holt er das Material zurück in den Kreislauf: Es wird gereinigt, abgeschliffen und oft zeigt sich erst dann das „wahre Gesicht“ des Materials. So wie ein Bonsai-Meister in einem wilden Setzling den alten Baum von morgen erkennt, sieht Johannes Fischer in der schiefen Wurzel einen künftigen Leuchtkörper.

Der Stamm ist dabei nur der Ausgangspunkt und bei Weitem nicht das alleinige Kunstwerk. Es ist vielmehr das Zusammenspiel aus Sockel, Holz und Schirm und, nicht zu vergessen, Form, das seine Leuchten zu einem harmonischen Ganzen macht.

Viele seiner Lampen finden ihren Sockel in einer Solnhofer Platte, die er sich regelmäßig auf Maß zuschneiden lässt, um eine möglichst große Auswahl an Größen und Formen für seine Lichtobjekte zu haben. „Wie beim Bonsai zählen hier oft wenige Millimeter bis Zentimeter, um ein optisch stimmiges Bild zu schaffen“, weiß Johannes Fischer. Der Sockel fügt sich dabei nicht einfach dem Holz, sondern wird in die Gesamtkomposition integriert. Ebenso wie die Bewegung des Stammes, die häufig die Wahl des Sockels beeinflusst. Wenn der Stamm eine sanfte Kurve beschreibt oder eine andere, ungewöhnliche Richtung einschlägt, muss der Sockel das entsprechend ausgleichen. Und wieder kommt ihm seine Passion zugute: „Wie jeder Baum in der Bonsaikunst bewusst eine Vorder- und eine Rückseite hat, die entsprechend gestaltet wird, so ist es auch beim Totholz. Ich entscheide mich beim Lampenbau ganz bewusst für eine bestimmte Seite des Astes und richte dann entsprechend den Rest danach aus.“ Beim Lampenschirm hingegen ist Fischer eher ein Befürworter von Vielfalt und Individualität: „Ehrlich gesagt ist das eine reine Geschmackssache. Meine Schirme sind nur Vorschläge und ich sage auch zu meinen Kunden, dass sie gerne bei mir vorbeikommen und auch andere Schirme ausprobieren dürfen. Der verbaute Schirm soll nur eine Anregung sein“, sagt er. Für ihn steht das Kunstwerk Holz im Vordergrund, der Schirm ist das i-Tüpfelchen, das den Stil des Holzstücks unterstreicht, aber nicht das gesamte Werk definiert. „Das Wichtigste beim Schirm ist vielmehr, dass er möglichst genau senkrecht angebracht ist, um das Gleichgewicht zu wahren“, ergänzt er und unterstreicht damit einmal mehr, wie Kreativität und Regeln in seiner Lampenkunst Hand in Hand gehen müssen, um ein stimmiges Gesamtwerk zu kreieren.

Sonderwünsche und individuelle Kundenaufträge sind für den Lampenfischer aus Pfaffenhofen besonders reizvoll. Sei es ein Fundstück aus dem Urlaub, das seine Kunden auf eine besondere Art zu Hause in Szene setzen möchten, ein Stück Holz, das jemand bei einem Spaziergang im Wald gefunden hat, oder auch eine Beratung bei ihm in der Werkstatt, um die Bestandteile der neuen „alten“ Lampe gemeinsam auszuwählen: Alles ist möglich. Er erzählt von einem besonders schönen Auftrag, den er wohl lange in Erinnerung behalten wird: Eine Frau brachte ihm einen Teil des Dachstuhls ihres abgerissenen Elternhauses und bat ihn, drei Lampen anzufertigen – für jede Schwester eine. Jede Lampe sollte als Andenken an das Elternhaus dienen, ein leuchtendes Erinnerungsstück, das nicht nur das Holz bewahrt, sondern damit auch die Geschichte eines Hauses, eines Lebens und einer Familie weiterträgt.

Nicht jedes Holz erzählt seine Geschichte so wie dieses.
„Es gibt auch Stücke, die ihre Geschichte nicht preisgeben“,
weiß Johannes Fischer.

Man sieht dem Holz an, dass es einen langen Weg hinter sich hat – Risse, Wunden, unregelmäßige Maserungen, die von Natur und Zeit erzählen. Doch was genau dahintersteckt, das bleibt verborgen. „Manchmal“, sagt Fischer, „behält der Baum seine Geschichte für sich. Man kann nur mutmaßen.“ Vielleicht ist aber auch genau das Teil des Zaubers: dass man nur ahnt, was war, und sich vorstellen darf, was gewesen sein könnte. Man sieht nur das, was der Baum preisgibt – und lässt sich von ihm überraschen, wohin die Reise geht. Sein Lebensmotto „Things are falling into place!“ hat ihn an vielen Entscheidungspunkten, an denen er in den letzten Jahren stand, geprägt. So spielt es auch bei der Holzbearbeitung und auf dem Weg des Unternehmens immer eine ganz entscheidende Rolle. „Die Dinge ergeben sich von allein, wenn die Absicht dahinter klar ist“, erklärt er. Nichts wird erzwungen. Keine Fräsung, keine Bohrung geschieht ohne Sinn. Die Technik folgt der Natur. So wird zum Beispiel die Fräsung zur Kabelverlegung dezent in die Linie des Holzes integriert und der Sockel millimetergenau ausgerichtet, damit das Auge Ruhe findet. Dass sich in seinen Leuchten nun seine Passion und sein
früherer Beruf vereinen – Holz, Licht und Elektrik –, scheint ganz im Sinne dieses Mottos zu sein.

Und auch die Tatsache, dass er seit September letzten Jahres die für ihn optimale Möglichkeit gefunden hat, seine Produkte der Öffentlichkeit zu präsentieren, ohne ständig selbst vor Ort sein zu müssen, passt ins Konzept. In der Frauenstraße 10, in der Pfaffenhofener Innenstadt, hat er sechs Schaufenster bezogen. Kein Laden mit Öffnungszeiten, keine Pflicht zur Präsenz. Die Leuchten stehen für sich, dürfen wirken, dürfen gefunden und betrachtet werden. Für Fischer ist es genau das richtige Maß zwischen Öffentlichkeit und Freiheit. Und doch ist er manchmal da, wenn niemand damit rechnet. Steht unauffällig neben dem Fenster und freut sich über Passanten, die vor „seinem“ Fenster innehalten und die Kunstwerke bestaunen. Sätze wie „Das ist aber mal was anderes!“ oder „Schau dir das tolle Holz an!“ hört er dann immer wieder. Dass er der Lampenfischer ist, der die Kunstwerke erschaffen hat, das muss er nicht erklären. Die Dinge sprechen für sich. So, wie es immer war – beim Holz, beim Licht, bei seiner Art zu arbeiten.

„Die Dinge fügen sich zusammen!“

„Ich frage mich jedes Jahr aufs Neue, ob der Weg, den ich mit dem Lampenfischer gehe, noch der richtige Weg für mich ist.“

„Dabei gehe ich tief in mich und spür rein – und bisher lautet die Antwort: Ja.“ Die Arbeit mit dem Holz, aber auch die Begegnungen mit Menschen, all das gibt ihm etwas zurück. „Aus Interessenten wurden Freunde“, lässt er beispielsweise eine der letzten Langen Nächte der Kunst und Musik in Pfaffenhofen Revue passieren. So freut er sich auch schon besonders auf die diesjährige Ausgabe des Pfaffenhofener Veranstaltungsformats, für das er etwas ganz Besonderes geplant hat. „Früher habe ich vor dem Laden meiner guten Freundin Eva Kanzler, bei der ich auch einige meiner Lampen das ganze Jahr über im Geschäft au­sgestellt habe, einen kleinen Stand aufgebaut“, erzählt er. „Für dieses Jahr habe ich aber eine Sitz-Lounge direkt gegenüber von meinen Schaufenstern geplant – von dort aus hat man immer einen Blick auf meine gesamte ‚Kollektion‘, kann sich gemütlich unterhalten und auch die Lampen einfach ‚mal so‘ auf sich wirken lassen.“ Diese Momente sind für ihn wertvoll – nicht als Verkaufsveranstaltung, sondern auch als Austausch.

Weil der Lampenbau für ihn ein Hobby geblieben ist, ohne finanziellen Druck, ohne starre Zielvorgaben, kann sich Johannes Fischer auch treiben lassen.

Das nimmt die Schwere aus dem Tun. „So wie es kommt, so kommt es“, sagt er und fügt hinzu: „Danke Karin Kuschik für den Leitsatz, der mein Handeln und meine Kunst so prägt wie kaum etwas anderes und den ich wie ein Mantra nur zu gerne wiederhole: ‚Things are falling into place!‘ “ Dass aber nicht alles planbar ist, hat er im vergangenen Jahr schmerzlich erfahren. Bei einer Adventsausstellung in den angemieteten Räumlichkeiten wurde eine seiner Lampen aus dem Schaufenster gestohlen. „Ausgerechnet die schönste Tischleuchte, die ich hatte“, fügt er hinzu. Noch immer hofft er, dass sie eines Tages wieder zu ihm zurückfindet. „Ich sage mir immer: ‚Die hat niemand gestohlen – die ist nur ausgeliehen‘ “, meint er mit einem Lächeln. Vielleicht ist es genau diese Haltung, die seine Arbeiten so besonders macht: der Blick für das, was war, die Offenheit für das, was kommt – und das Urvertrauen, dass sich am Ende alles fügt.

Weitere Informationen unter https://lampenfischer.de.
Am besten bestaunt man die Kunstwerke aber vor Ort im Schau­fenster der Frauenstraße 10 in Pfaffenhofen.