Heimische Superfoods

Text: Alicia Testera | Fotos: Richard Kienberger

Der Magen knurrt und im Kühlschrank herrscht mal wieder gähnende Leere – da hilft nur noch der Gang zum Supermarkt, um den wöchentlichen Lebensmitteleinkauf hinter sich zu bringen. Für viele kein wertvolles Privileg, sondern eher wiederkehrendes Laster, obwohl das Sortiment in deutschen Supermärkten keine Wünsche offen lässt. Das Angebot bietet ein breites Spektrum an exotischen Früchten aus der ganzen Welt und zu jeder Jahreszeit.

Diese Vielfalt ist ein Geschenk und doch versperrt sie uns manchmal die Sicht, um die wertvollen essbaren Lebensmittel in unserer nahen Umgebung zu erkennen.

Stattdessen wird heute gefühlt jede Woche ein neuer Begriff wie Paleo, Superfood oder Soulfood auf die Lebensmittelverpackungen gedruckt. Vor ein paar Jahren schwappte der Trend aus den USA zu uns herüber und kurbelt seitdem den Verkauf von Chiasamen, Goji-Beeren & Co. ordentlich an. Genau betrachtet liegen diese modernen Ernährungsweisen gar nicht weit von der Ursprungsernährung der Menschheit entfernt. In der Paleo-Diät heißt es „back to the roots“. Sie beschreibt eine Steinzeitdiät, die auf der Jäger-und-Sammler-Theorie basiert. Hier werden lediglich Lebensmittel zu sich genommen, die in der Steinzeit verfügbar waren. Ebenso sind die sogenannten Superfoods seit einiger Zeit in aller Munde. Darunter sind nährstoffreiche Lebensmittel zu verstehen, die für die menschliche Ernährung besonders wertvoll sein sollen. Meist hat man den Eindruck, dass es bei diesen Trends möglichst exotisch zugehen muss – dabei könnten wir auf viele superfood-tauglichen Lebensmittel zurückgreifen, die nicht als Kapsel, Tabletten oder in Pulverform daherkommen und um die halbe Welt gereist sind. Die Rede ist von heimischen Wildkräutern, von denen einige sogar im eigenen Garten wachsen. Die meisten Gartenbesitzer verfluchen die wertvollen Pflanzen jedoch als Unkraut. Der US-amerikanische Philosoph Ralph Waldo Emerson sagte schon im 19. Jahrhundert

Unkraut ist eine Pflanze, deren Tugenden noch nicht entdeckt wurden.

Blickwechsel – Neue Perspektive

Wildkräuterpädagogin Ulrike Kainz aus Scheyern sieht die Welt anders als viele von uns. Wo der Durchschnittsbürger nur Gräser und grüne Wiesen sieht, sieht sie jede Menge essbare Pflanzen. Die Digitalisierung und die damit verbundene Stubenhockerei ist unter anderem Grund dafür, dass kaum noch Wissen über Wildkräuter vorhanden ist. Die Generation der derzeitigen Nachwuchslehrer und Eltern ist selbst nur wenig informiert über das heimische Superfood, daher können sie auch keine diesbezüglichen Kenntnisse an Kinder weitergeben. „Schade“, findet Ulrike Kainz, „denn Wildkräuter beinhalten elementare sekundäre Pflanzenstoffe, die bei vielen Salat- und Gemüsesorten weggezüchtet wurden.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Zucker in Mode, die natürlich vorkommende bittere Geschmacksrichtung in Lebensmitteln war nicht mehr er wünscht. Bis heute findet man nur noch wenig bittere Gemüsesorten in den Ladentheken. Damals, könnte man der Nachkriegsgeneration zugutehalten, war ja noch nicht bekannt, wie wichtig sekundäre Inhaltsstoffe für die menschliche Ernährung sind.

Wildkräuter enthalten im Gegensatz zu den meisten Gemüsesorten ätherische Öle, Gerbstoffe, Glykoside, Flavonoide und vieles mehr, was die Wildkräuter zum echten Superfood macht.

Eigentlich besitzen die Pflanzen diese Stoffe, um Fressfeinde abzuwehren. Wie wichtig dieser Cocktail aber auch für unseren Körper ist, zeigen die zunehmenden Zivilisationskrankheiten Bluthochdruck, erhöhtes Cholesterin und schlechter Stoffwechsel, die oftmals durch zu viel Zucker, zu wenig Bitterstoffe und zu wenig Bewegung ausgelöst werden.

Superfood vs. Wildkräuter

Stundenlanges Sitzen am Schreibtisch und schlechte Essgewohnheiten können mit der Zeit erhebliche Beschwerden hervorrufen. Um diesen entgegenzuwirken, rücken Nahrungsergänzungsmittel immer mehr in den Fokus der Verbraucher. Dass diese nicht unbedingt aus dem Ausland in Kapselform bezogen werden müssen, wissen die wenigsten. Frei nach dem Motto „Lasst unsere Nahrung unsere Medizin sein und nicht unsere Medizin unsere Nahrung“ möchte Kräuterexpertin Ulrike Kainz den Menschen die Natur wieder näherbringen und erlebbarer machen. Auf ihren Wildkräuterführungen teilt sie ihre Expertise und klärt darüber auf, was sich alles an Essbarem auf Wiesen, in Wäldern und am Wegesrand tummelt. Neben den Wildkräutern können im Spätsommer und Herbst auch Wildfrüchte gesammelt werden. Hagebutte, Schlehe, Wildbrombeere oder Wildhimbeere – heute kennt kaum noch jemand die aroma tischen Wildbeeren. Trotz dieser Auswahl an regionalen Powerfrüchten gehen die Konsumenten in den Supermarkt und kaufen die Goji-Beere aus China. Unter ökologischen Gesichtspunkten der blanke Irrsinn. Zudem sind Transport- und Produktionsbedingungen nur schwer nach zuvollziehen. Dennoch ist der Hype um die Superfoods eine Trenderscheinung, der zurzeit jeder folgt – zumindest, wenn man dem Inhalt einiger Fitness- und Food blogger auf den gängigen sozialen Netzwerken glaubt.

Back to the roots

Früher waren Wildkräuter fester Bestandteil der täglichen Nahrungsaufnahme. Von klein auf wurden die Kinder mit den Pflanzen vertraut gemacht. Heute geht man in Altersheime und versucht mit den Gerüchen der Pflanzen Erinnerungen zu wecken. Fraglich nur, was die jüngere Gene ration später einmal in Erinnerungen schwelgen lässt. Chia samen? Goji-Beeren? Porridge? Wahrscheinlich eher nicht! Der Trend zur Regionalität und Saisonalität zeigt, dass das Bewusstsein der Menschen dafür, gesunde Lebens mittel in der Nachbarschaft zu suchen, wieder verstärkt geweckt ist. Über die gesunde Ernährung und den nachhaltigen Umgang mit der Natur ist auch Stefanie Westermair auf die Ausbildung zur Kräuterpädagogin gestoßen. Früher wurde die Ausbildung für Bäuerinnen noch staatlich gefördert, heute muss man sich ausdrücklich dafür entscheiden. Stefanie Westermair wollte ihr auf diversen Kräuter expeditionen erworbenes Wissen ausbauen, um Wildkräuter genau bestimmen zu können. Die einjährige Ausbildung zur Kräuterpädagogin absolviert sie derzeit an der Gundermann-Akademie BNE (Bildung für nachhaltige Entwicklung) im Kloster Plankstetten (Gundermann ist übrigens auch ein heimisches Wildkraut). Einmal im Monat besucht sie die Schule, wo sie viel theoretisches und praktisches Wissen über die Pflanzen und den gesamten Organismus lernt. Beides ist elementarer Bestandteil der Ausbildung. Ein Fokus liegt auf den Anwendungsweisen der Kräuter:

Öle, Essige, Naturkosmetik – es gibt viele Möglichkeiten, das wertvolle „Unkraut“ zu verarbeiten.

Richtige Anwendung

Beim Wildkräutersammeln gibt es jede Menge zu beachten. Allerdings braucht es nicht unbedingt eine Ausbildung, um sich mit der Materie zu befassen. Stefanie Westermair empfiehlt, zunächst mit zwei Wildkräutern zu beginnen, die man ohnehin schon kennt, wie beispielsweise den Löwenzahn oder das Gänseblümchen. Mit dieser Auswahl kann auch nicht viel falsch gemacht werden, denn bei diesen Pflanzen herrscht kaum Verwechslungsgefahr. Deutlich mehr Vorsicht ist beim Bärlauch geboten. Das beliebte Knoblauch-Gewächs kann leicht mit dem hochgiftigen Maiglöckchen verwechselt werden. Damit auf keinen Fall ein solcher Fauxpas passiert, hat Kräuterexpertin Ulrike Kainz einige hilfreiche Tipps auf Lager. Sie schreibt, ähnlich wie Pilzesammler, ihre besten Plätze auf, wo sie welches Wildkraut gefunden hat. Anhand dieser Methodik betrachtet sie die Pflanze von der Wurzel bis zur Blüte und kann sie präzise bestimmen. Zudem gibt es einige gravierende Unterschiede zwischen Maiglöckchen und Bärlauch. Sei es Blatt, Stiel, Wurzel, Farbe oder Geruch – die Pflanzen werden anhand vieler verschiedener Merkmale bestimmt, allerdings sind diese nicht auf den ersten Blick erkennbar.

Ist ein schönes Plätzchen mit reichlich essbaren Wildkräutern gefunden, sollte auf keinen Fall wild gepflückt werden. Für die Sammler empfiehlt es sich, eine Schere mitzubringen, damit nicht die Gefahr besteht, das Kraut samt der Wurzel auszureißen. Expertin Kainz richtet beim Kräutersammeln nicht nur den Blick auf das Essbare für die Menschen, sondern rückt den gesamten Organismus in den Fokus.

Es soll ja auch noch genügend Lebensraum für die Tiere übrig bleiben, schließlich reicht in der Regel eine geringe Menge an Kräutern und zudem können sie vor der Zubereitung wieder frisch gesammelt werden.

Bei der Zubereitung ist ohnehin ein behutsames Herantasten zu empfehlen, denn Wildkräuter regen die Verdauung an. Kainz empfiehlt, die Aufnahme von Wildkräutern mit einem hohen Wasserkonsum zu kombinieren, da viele dieser Kräuter den Abtransport von Giftstoffen aus dem Körper fördern.

Superfood oder nicht – es ist schön, dass das Bewusstsein vieler Menschen für das, was sozusagen vor der Haustür wächst, wieder geweckt ist.

Allerdings gilt auch hier: Man muss nicht jedem Trend hinterherrennen, sondern sollte mitunter einen Schritt zurückgehen und vor allem die großen Hypes kritisch betrachten. Nicht überall wo Superfood draufsteht, ist auch Superfood drin. Aber viele der heimischen Alternativen sind auch ohne Kettenreaktion in sozialen Medien echte Allroundtalente und vor allem in Kombination mit der Natur und der frischen Luft wahres Seelenfutter – oder Soulfood, wenn man so will.

Kleine Kräuterkunde

Zu den drei wichtigsten heimischen Wildkräutern, die man mit ein wenig Geschick und Interesse auch selber finden und zubereiten kann, zählt Ulrike Kainz Löwenzahn, Brennnessel und Gänseblümchen. Diese Kräuter kennt in der Regel jeder. Unbekanntere Kräuter sollten erst einmal innerhalb einer geführten Kräuterwanderung erkundet werden.

Löwenzahn

Der Löwenzahn blüht vor allem im Frühling und die Blüte verwandelt sich später zu einer Pusteblume. Die Blätter der Pflanze sind fast das ganze Jahr verfügbar. Es existieren viele verschiedene Löwenzahnarten, aber alle sind essbar.

Tipp: Aufgepasst bei der Ernte – die Milch, die sich im Stil des Löwenzahns befindet, hinterlässt braune Flecken, die sich nur schwer wieder entfernen lassen.

Gänseblümchen

Wie heißt es so schön, wenn die Gänseblümchen wachsen, dann ist der Frühling da. Meistens erblickt man die schönen Blümchen schon, sobald die Schneedecken geschmolzen sind.

Tipp: Gänseblümchen kennt jeder und sie haben dazu noch keine giftigen Doppelgänger. Also ab sofort keine Scheu mehr vor der Powerblüte und in den Salat mischen oder auf das Butterbrot legen.

Brennnessel

Die Triebspitzen der Brennnessel sind am aromatischsten. Die Blätter können anhand der zackigen Enden erkannt werden. Außerdem „brennt“ das Blatt bei Berührung.

Tipp: Mit Handschuhen ernten und nach dem Waschen mit dem Nudelholz über die Blätter rollen – dadurch werden die Brennhaare zerstört und die Blätter können auch roh verzehrt werden.

Wildkräuter im Landkreis entdecken

Das ganze Jahr über finden Veranstaltungen zum Thema Wildkräuter im Landkreis Pfaffenhofen statt. Auf den folgenden Webseiten finden Sie einige Termine und Informationen:

wildkraut.info