Die Jägerin vom Schaibmaierhof

Text: Vanessa Schneider, Fotos: Richard Kienberger

Neben dem kleinen Teich steigt Stefanie die robusten Holzstufen des Hochsitzes hinauf. Die blonden langen Haare fallen lässig auf ihre Schultern, das Gewehr hängt quer vor ihrem Oberkörper. Oben auf dem Ansitz macht es sich die Jungjägerin bequem und blickt auf die Lichtung und den angrenzenden Wald östlich von Hettenshausen.

Wenn die 21-Jährige Glück hat, kommen Rehe oder Wildschweine aus dem Dickicht des Waldes hervor auf diesen Platz, den sie von ihrer Kanzel aus so gut beobachten kann. Manchmal muss sie stundenlang auf die Tiere warten, an anderen Tagen dauert es nur wenige Minuten, bis die Rehe auftauchen. Hin und wieder gibt es keine Gelegenheit für einen Schuss. Dann genießt die Pfaffenhofenerin die Ruhe und die Natur an ihrem Lieblingsplatz. Er liegt nur wenige Autominuten von dem Bauernhof entfernt, der vor Jahrhunderten einmal zum Bestand des Scheyrer Klosters gehörte.

Ich bin die fünfte Generation

Hier, auf dem alten Hof im Ilmtal, lebt Stefanie zusammen mit ihrer Familie und arbeitet als Landwirtin. Nicht nur die Landwirtschaft, auch das Jagen hat für die Familie Schrödl eine lange Tradition. Vier Generationen gingen bereits diesem Hobby nach. Jagen galt als Männersache, nicht nur bei den Schrödls. Dass eine Frau auf die Jagd geht, das war früher undenkbar. Ende der 1980er-Jahre war nur knapp ein Prozent aller Jagdscheinbesitzer in Deutschland weiblich. Mittlerweile ist dieser Wert auf zehn Prozent angestiegen. Frauen sind zwar weitgehend akzeptiert, dominiert wird die Jägerei aber immer noch deutlich von den Männern. Stefanie Schrödl war sich deshalb bewusst, dass es kein leichter Weg sein würde, als ihr Entschluss endgültig feststand: Ich will den Jagdschein erwerben und den Beweis antreten, dass ich eine gute Jägerin sein kann. Die Leidenschaft für die Jagd wurde von ihrem Großvater geweckt. Schon als sie noch ein Kind war, hat er seine Enkelin mit in den Wald genommen. „Ich war vielleicht fünf Jahre alt, als ich das erste Mal mit auf der Jagd war.“ Immer wieder begleitete Stefanie ihren Opa, ihren Vater, Freunde oder ihren Cousin in den Wald. Deshalb war es für sie ganz klar: Sie wird diese Tradition in der fünften Generation fortführen. Als Frau.

Reflektieren und hinterfragen

Die Branche, die einst nur auf Männer spezialisiert war, muss umdenken. Das bemerken auch Maximilian und Johannes Götz, die seit Februar 2017 das Jagdgeschäft Bavarian Hunters in Pfaffenhofen führen. Immer wieder kommen Frauen in ihren Laden und möchten sich für die Jagd ausrüsten. „Meist sind die Kundinnen zwischen 20 und 40 Jahre alt“, sagt Maximilian Götz. „Bei der Wahl einer Waffe sollte sich der Benutzer sicher fühlen, das geht aber nicht, wenn sie viel zu groß ist oder man sie nicht richtig greifen kann.“ Verschiedene Hersteller haben deshalb reagiert und eigene Repetierbüchsen für Frauen entworfen. Diese Waffen sind an die weibliche Anatomie angepasst, sie sind leichter und haben einen kürzeren Schaft. Der Pistolengriff ist schlanker und steiler, damit der Abzugfinger optimal liegen kann. Die neu entwickelten Büchsen kommen bei den Frauen gut an. Ähnlich wie bei Stefanie Schrödl geht es den Kundinnen von Bavarian Hunters nicht um die Lust am Töten. „Viele Jägerinnen stehen mitten im Leben, sind Akademikerinnen und arbeiten zum Beispiel als Ärztinnen. Sie suchen die Ruhe der Natur, einen Ausgleich zur Arbeit“, sagt Johannes Götz. Auch Studentinnen der Forstwirtschaft oder Frauen mit Jagdhunden interessieren sich für die Jagd. Dabei spielt Nachhaltigkeit eine große Rolle. „Was wir bemerken, ist, dass Frauen mehr reflektieren und hinterfragen“, sagt Maximilian Götz.

Auch er stellt bei seinen Kundinnen, kommt das Gespräch auf Fleischkonsum, den Trend für ein erhöhtes Bewusstsein für mehr Tierwohl fest. Wie viele ihrer Hobbyjäger- und Geschlechtsgenossinnen, die wissen wollen, woher das Fleisch stammt und ob es sich um Wild oder Zuchtfleisch handelt, und hochwertiges Fleisch aus der Region nachfragen, teilt auch Stefanie dieses Bewusstsein und trägt ihm Rechnung. „Die Tiere liegen mir am Herzen“, sagt die 21-Jährige, die eine Ausbildung zur Landwirtin absolviert hat, um einmal den Betrieb ihrer Familie weiterzuführen. Auf dem Hof leben 160 Schweine sowie Damwild, Puten und Hähnchen. Die Tiere werden vor Ort geschlachtet, das Fleisch wird im eigenen Hofladen verkauft. Stefanie möchte, dass die Tiere bis zuletzt möglichst wenig Stress haben. Genau deshalb ist sie auch bis zum Ende dabei. „Ich begleite die Schweine bis zur Schlachtung“, erklärt die junge Landwirtin. Da diese auf dem Hof durchgeführt wird, haben die Tiere keine weiten Strecken, die sie stundenlang zurücklegen müssen. Der Stress für die Tiere wird dadurch immens reduziert. Die Jungbäuerin sieht das rational. Ihre Familie lebe schließlich zu einem Großteil von den Einnahmen des Hofladens: Dazu gehört aus ihrer Sicht eben auch das Fleisch und damit der Tod der Tiere. Das funktioniert aber nur, weil sie die Nähe zu den Tieren nicht mehr zu groß werden lässt. Einmal hat sie, sagt sie, den Fehler gemacht und sich mit einem Schwein angefreundet. Sie gab ihm einen Namen und es freute sich, wenn sie den Stall betrat. Doch irgendwann kam der Tag, als Stefanie die Sau über den Hof zum Schlachthaus bringen musste. Das fiel ihr sehr schwer. Doch bei all der Trauer war es ihr eine wertvolle Lehre, denn sie weiß: „Wir leben davon. Deshalb bin ich auch bereit dazu.“ Nach dieser Erfahrung wusste Stefanie, dass sie keine enge Bindung mehr zu einem Tier eingehen darf. Zumindest nicht zu einem Schwein, das geschlachtet werden soll. Eine ganz andere Geschichte ist natürlich der Jagdhund, den sie sich wünscht, den sie ausbilden kann und der sie im Wald begleitet.

Ruhe bewahren – einen klaren Kopf behalten

Zusammen mit ihrem Cousin, einem erfahrenen Waidmann, hat die Jungjägerin die Kanzel am Weiher, an ihrem Lieblingsplatz, gebaut. Gerade, mit einem schönen Dach und sehr stabil. Perfekt für den Ansitz, perfekt für die Jagd. Stefanie möchte stets optimale Bedingungen haben, dafür braucht es auch einen verlässlichen Hochsitz. Von ihrem Platz aus ist auf der anderen Seite der Lichtung eine weitere Kanzel zu sehen. „Opa hat sie gebaut. Sie ist etwas schief“, erklärt die 21-Jährige und lächelt. „Auf seiner Kanzel ist es wesentlich schwieriger zu schießen!“ Kurz nachdem sie ihren Jagdschein gemacht hatte, schoss Stefanie ihren ersten Rehbock von ihrer Kanzel aus. Daran erinnert sich Stefanie noch sehr genau: Ihr Freund, kein Jäger, ist bei diesem besonderen Erlebnis dabei. Die Aufregung steigt, als das Tier in der Dämmerung auf die Lichtung kommt. Ruhe bewahren, das Gelernte anwenden, einen klaren Kopf behalten. Ihre Hand zittert leicht, als sie das Gewehr anlegt.„Bockfieber“ nennt das ihr Opa. Durchatmen. Dann der Schuss. Alles geht gut: Stefanie trifft, das Tier ist sofort tot.

Doch viel nervöser als vor dem Abschuss ihres ersten Bocks war Stefanie vor der Jagdprüfung. Vier Prüfungen, 37 Männer und fünf Frauen. „Ich war noch nie so aufgeregt. Die Erwartungen waren sehr hoch, weil man natürlich allen Kritikern zeigen möchte, dass man als Frau genauso gut Jägerin sein kann“, erklärt Stefanie. Alles ging gut. Sie bestand, genau wie die anderen vier Frauen. Der Opa, der anfangs erstaunt war, dass Stefanie einen Jagdschein macht, war außer sich vor Freude und stolz auf seine Enkelin. „Opa war schon sehr gerührt“, verrät die junge Jägerin, die viel Zeit in das Lernen investiert hat. Die Ausbildung ist sehr aufwendig und ausführlich in Bayern. Vor der Prüfung war sie dreimal in der Woche in Pfaffenhofen zum Unterricht. „Das war schon hart, weil ich ja am nächsten Tag auch wieder fit sein musste, um meiner Arbeit nachzugehen.“ Doch Schrödl hat Verständnis für die hohen Anforderungen. „Als Jägerin sollte man schließlich genau wissen, was man tut. Mir war es sehr wichtig, eine gute Ausbildung zu bekommen und viel zu wissen. Ich will vorbereitet sein“, sagt die 21-Jährige, die hohe Ansprüche an sich selbst stellt, um sich gegen ihre männlichen Kollegen behaupten zu können. Gerade als Frau fühlt sie sich besonders auf dem Prüfstand. „Ich möchte nicht in die Situation kommen und sagen müssen, dass ich etwas nicht weiß. Ich will zeigen, dass ich Ahnung habe.“ Bislang klappe das ganz gut, erklärt die 21-Jährige. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass die meisten Jäger eine Frau in ihren Reihen akzeptieren, wenn sie merken, dass sie sich auskennt. Doch Stefanie erzählt auch von Ausnahmefällen. Als Frau musste sie sich schon blöd anreden lassen. Aber das ließ und lässt sich die junge Jägerin nicht gefallen. Sie ist schlagfertig, verschweigt nichts und arbeitet laufend daran, ihr Wissen zu erweitern.

Stefanie Schrödl will keine Sonderbehandlung – auch nicht bei einem alten Jägerbrauch: An ihrem 21. Geburtstag, im Sommer 2017, erhielt sie den Jägerschlag. „Das war mir wichtig“, erklärt sie. Mit einem Waidblatt wurde ihr auf den Po geschlagen. Dieser Brauch stellt einen wichtigen Meilenstein im Leben eines Jägers da, da er danach offiziell in die Reihen der Jäger aufgenommen wird. Stefanie wollte darauf nicht verzichten. „Mir wurde zwar erzählt, dass es bei Frauen üblich ist, dass sie den Jägerschlag auf die Schultern bekommen. Aber wenn das mit dem Po Tradition ist, dann will ich das auch so!“

Als Landwirtin kann Schrödl zupacken und hat viel Kraft. Doch wenn die 21-Jährige ein schweres Wildschwein schießt, braucht sie anschließend Unterstützung. „Am Anfang versuche ich es erst einmal alleine.“ Ein ausgewachsener Keiler kann an die 150 Kilogramm wiegen. „Da ist auch ein Mann froh, wenn er nach dem Schuss Hilfe bekommt.“ Wenn Stefanie merkt, dass sie das Tier nicht alleine bewegen kann, ruft sie mit ihrem Handy den Vater an. „Er kommt dann mit dem Traktor. Auch mein Cousin ist meist nicht weit.“ Mit ihrem Cousin geht Stefanie gerne auf die Jagd. Die Landwirtin weiß, dass sie vor allem aus Erfahrungen lernt. Gerade mit ihrem Cousin hat sie schon viel erlebt auf der Jagd. Zum Beispiel im Frühjahr 2017, als sie an einem frühen Morgen in der Dämmerung Wildschweine entdeckten. Ihr Cousin schoss auf das Tier, das in sich zusammensackte. Als sie sich näherten, stellten sie jedoch fest, dass das Wildschwein noch lebte – eine gefährliche Situation. Der Cousin behielt die Ruhe und tötete das Tier. Stefanie beobachtete und lernte.

Das Revier der Schrödls ist sehr groß, hier leben vor allem Rehe, Feldhasen, Füchse und Wildschweine, es gibt viele Landstraßen. Wildunfälle sind in solchen Gegenden keine Seltenheit.

 Mehr als ein Jagdschein

Mit dem erfolgreichen Erwerb des Jagdscheins kamen auch wichtige Pflichten auf Stefanie zu. Geschieht ein Wildunfall im Revier, wird der zuständige Jäger von der Polizei alarmiert. Möglicherweise ist das Tier angefahren worden und hat starke Schmerzen. Der Jäger muss das Tier dann von seinem Leid erlösen.

„Besonders schwierig ist es, wenn eine Familie mit Kindern dabei ist. Es geht ja nicht darum, das Tier zu quälen, sondern es von seinen Qualen zu erlösen. Das verstehen viele Menschen nicht“, erklärt der Vater von Stefanie. Auch die junge Jägerin wurde schon von der Polizei alarmiert und musste dann am Unfallort ihrer Pflicht nachkommen.

Das Bewusstsein für nachhaltiges Handeln beeinflusst Stefanie Schrödl beim Jagen. Ihre Motivation dabei: Sie will den Forst und die Tiere pflegen. „Ich bin eher die Hegerin. Ich will, dass es dem Wald gutgeht. Es ist auch schön, einmal ein Rehkitz zu sehen. Ich fühle mich verantwortlich“, sagt Stefanie in der Kanzel am Weiher, ihrem Lieblingsplatz im Revier. Sie geht nicht jedes Mal mit dem festen Vorsatz in den Wald, ein Tier zu erlegen. Auch weil sie weiß, dass danach noch einige Stunden Zeitaufwand nötig sind, um das erlegte Tier ins Schlachthaus zu bringen und zu zerlegen sowie anschließend alles zu putzen. „Deshalb schieße ich nur, wenn ich weiß, dass ich auf jeden Fall genug Zeit habe, um alles ordentlich zu erledigen. Manchmal beobachte ich einfach nur die Tiere – eine Mutter mit ihren Rehkitzen, die auf dem Feld stehen.“

Obwohl zunehmend mehr Frauen auf die Jagd gehen, werden sie immer wieder mit Skepsis betrachtet. Weshalb könnten manche Männer etwas gegen Frauen haben, die jagen? Sehen sie die Tradition in Gefahr? Oder liegt es vielleicht daran, dass Frauen besser jagen? Stefanie ist der Meinung, dass gut oder schlecht nicht vom Geschlecht abhängt. Es gehe Jägerinnen und Jägern immer darum, voll konzentriert mit der Waffe umzugehen und viel über den Wald und die Jagd zu wissen. Zudem sollte man emotional und körperlich robust sein. Auch die Brüder Johannes und Max Götz vom Jagdgeschäft Bavarian Hunters sehen das ähnlich.

„Es kommt auf das persönliche Geschick und nicht auf das Geschlecht an“, erklärt Max. Dazu gehören auch clevere Ideen. Stefanie zum Beispiel sucht gerne nach anderen Lösungen, wenn etwas nicht perfekt passt. Im Gegensatz zu ihrem Opa hat Stefanie beispielsweise ein kleines selbst genähtes Kissen mit in ihrem Rucksack dabei. Das nimmt sie her, wenn sie ein Tier beobachtet und schießen möchte. Ihr Opa hat früher seinen Hut als Unterlage genommen. Das Kissen, erzählt Stefanie, sei weniger wackelig, das Gewehr liege deshalb viel ruhiger in der Hand.

In ihrer Familie ist die 21-Jährige als Jägerin voll akzeptiert. Das spürte Stefanie vor allem an Silvester – ein Erlebnis, das sie so schnell nicht mehr vergessen wird: Seit Jahren geht ihre Familie am letzten Tag des Jahres gemeinsam auf Treibjagd. Stefanie nahm natürlich regelmäßig teil, bislang allerdings als Treiberin. Schließlich hatte sie damals noch keinen Jagdschein. Zum Jahreswechsel 2017/2018 war das endlich anders: „Diesmal wirst du als Jägerin dabei sein“, versprachen ihr Opa und Vater schon kurz nach der erfolgreich abgelegten Jägerprüfung. Sie hielten ihr Wort. „Es war ein tolles Gefühl.“