Der Schatz für die Urenkel
Neuen Wald pflanzt man für seine Kinder
Text und Fotos: Richard Kienberger
Jeder Waldbesitzer kennt den uralten Spruch, der ausdrückt, worum es beim Thema Wald immer geht: um langfristiges Denken in Jahrzehnten, um einen Schatz für zukünftige Generationen, vielleicht auch um die Fähigkeit, bestimmte Entwicklungen sehr früh zu erahnen. Einem Wald sah man früher an, wie es um seine Besitzer bestellt war. Standen die Bäume viel zu licht, konnte man davon ausgehen, dass Holz benötigt wurde – entweder für einen Neubau oder um Lücken zu stopfen, die durch Missernten, schlechtes Wirtschaften, Leichtsinn, nicht selten auch durch Alkohol oder die Leidenschaft fürs Kartenspiel gerissen wurden. Ungepflegte Wälder – nicht zu verwechseln mit unbewirtschafteten Urwäldern – gab es früher weitaus seltener als heute, weil das Holz über die Jahre seine Bedeutung als billiger Rohstofflieferant für arme Bevölkerungsschichten verloren hat.
Wer geht heute noch in den Wald, um herumliegende Äste oder Fichtenzapfen als Brennstoffvorrat für den nächsten Winter zu sammeln?
Wenn Großeltern erzählen, dass die Knechte und Mägde auf den Bauernhöfen die Wurzelstöcke gefällter Bäume mit Schwarzpulver und viel Handarbeit freilegten, um an das Holz zu kommen, hört sich das nach grauer Vorzeit an. Dabei war das in vielen Gegenden noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts gängige Praxis. „Schlampige Verhältnisse“ im Wald sind heute nicht zuletzt die Folge des Strukturwandels in der Landwirtschaft. Die Felder aufgegebener Betriebe können verpachtet und damit weiter bewirtschaftet werden. Wald dagegen wird vererbt, oft an eine Erbengeneration, die damit nichts anfangen kann, oder an eine Erbengemeinschaft, in der sich niemand so recht zuständig fühlt. Was in Jahren, in denen der Borkenkäfer wütet (wie beispielsweise in diesem Jahr), ein Problem darstellt: Da sollte man eigentlich regelmäßig kontrollieren, ob die Bäume von dem Schädling befallen sind – was auch voraussetzt, dass man den Befall erkennt – woraufhin Bäume mit positivem Befund möglichst frühzeitig gefällt und aus dem Wald gebracht werden müssen.
Wenn Waldbesitzer Bäume für ihre Kinder oder Enkel pflanzen, denken sie im besten Fall in Jahrzehnten. Um ganz andere Zeiträume geht es, wenn Pater Lukas über „seinen“ Wald spricht. Der Cellerar der Benediktinerabtei Scheyern steht in einem jahrhundertlangen Kontinuum. Wald- und Grundbesitz bildeten für viele Klöster die Basis ihres wirtschaftlichen Fundaments, das weit weniger anfällig für natürliche oder durch den Menschen verursachte Schwankungen war als beispielsweise Landwirtschaft oder Handelsgeschäfte. Mit Waldbesitz wurden vor allem der Neubau und Unterhalt von Gebäuden finanziert. Daher zählten die Klöster vor der Säkularisation zu den größten Waldbesitzern überhaupt. Bei der Enteignung durch den bayerischen Staat 1802/1803 verlor auch die Benediktinerabtei Scheyern den weitaus größten Teil ihres Waldbesitzes, der damals zwischen achtund zehntausend Hektar betrug. Der enteignete Waldbesitz wurde übrigens nicht restituiert. Heute gehören noch rund 450 Hektar Forst zum Kloster – eine geradezu mickrige Fläche, wenn man beispielsweise das österreichische Stift Göttweig zum Vergleich heranzieht. Die dortigen Klosterbrüder – die ebenfalls dem Benediktinerorden angehören – wurden nie enteignet und können ihre Abtei vor allem dank einer Forstbetriebsgröße von rund 5.300 Hektar – davon sind 4.800 Hektar Wirtschaftswald, 187 Hektar Auwald und ca. 300 Hektar Nebengründe – ausgezeichnet er- und unterhalten.
Weil in den Klöstern zumindest in dieser Beziehung immer schon über lange Zeiträume gedacht und geplant wurde, beschäftigten zum Beispiel die Scheyrer Benediktiner schon in der Barockzeit Waldaufseher, die dafür zuständig waren, darauf zu achten, dass nicht mehr Holz geschlagen wurde, als nachwuchs. Das Prinzip hat sich bis heute erhalten, schon seit den Sechzigerjahren, erzählt Pater Lukas, werde der Klosterforst nach dem Modell Dauerwald bewirtschaftet. Das bedeutet, dass es nur gezielte, punktuelle Entnahmen und keine Flächen mit Kahlschlägen gibt. Das Kloster hatte damals das Glück – oder die Weitsicht – mit Jakob Wilm einen Förster verpflichten zu können, der im Laufe seines Berufslebens weit über die Landkreisgrenzen hinaus bekannt wurde, weil er sich nicht scheute, unkonventionell zu arbeiten. Er war einerseits ein Pionier, was die waldgerechte Bejagung anbetraf, und legte andererseits den Grundstein für das heutige Aussehen des Scheyrer Forsts, der mit seinen alten Nadel- und Laubbaumbeständen dem Ideal eines gesunden Mischwalds sehr nahekommt.
Eigentlich ein gutes Fundament für Reiner Behringer, der seit 2004 als Förster in Scheyern arbeitet.
Doch Behringer sieht sich heute mit einer ganz anderen Herausforderung konfrontiert, die sein Vorgänger allenfalls in unscharfen Umrissen erkennen konnte. Als der durch die Wälder in Sichtweite des Klosters streifte, waren die Orkane Wibke und Vivien sowie das Waldsterben – das als le Waldsterben sogar Eingang in den französischen Sprachschatz fand – wichtige Themen, die das Verhältnis der Menschen zu ihren Bäumen berührten. Aber irgendwie schienen diese Phänomene beherrschbar – was ein Orkan zerstört, wird nachwachsen, auch wenn es eine Menschengeneration dauert, bis die Bäume wieder so hoch und stark sind wie die in wenigen Minuten geknickten Exemplare. Und bei le Waldsterben ging es noch nicht um das große Ganze, sondern zumindest in der Perspektive von Laien in erster Linie um den sauren Regen, von dem man doch hoffte, ihm irgendwie beikommen zu können. Manche Experten vertraten schon damals eine andere Meinung, aber wissenschaftlich anerkannt oder sogar Mainstream war das noch lange nicht.
Seltsamerweise redet heute niemand mehr vom Waldsterben – genauer gesagt: In der medialen Aufgeregtheit spielt der Begriff keine nennenswerte Rolle mehr. Denn Reiner Behringer redet schon vom Waldsterben, aber es ist ein anderes Sterben, und das Thema ist noch viel Furcht einflößender, als es die Diskussionen in den Siebzigern und Achtzigern jemals waren. Denn seien wir ehrlich, damals war das Gros der Menschen, mit Ausnahme einiger Berufspessimisten, Misanthropen und Experten, davon überzeugt, dass ein wenig Umsteuern genügen würde, dann werde es schon nicht so schlimm kommen, wie befürchtet. Was sich ja einerseits als richtig erwiesen hat, denn in gewisser Weise erholten sich die Wälder. Doch was derzeit unter der Überschrift Klimawandel“ passiert, ist mit Sicherheit nicht beherrschbar, und an ein paar Stellschrauben zu drehen, wird die durch den Menschen verursachten Probleme auch nicht lösen. Nachhaltige Waldwirtschaft zu betreiben, wird deshalb für einen wie Reiner Behringer (und natürlich auch seine Arbeitgeber im Kloster) zu einem Glücksspiel. Primärer Angelpunkt der Probleme ist eine Baumart, die in unserer Region weit verbreitet ist, teilweise sogar in Monokulturen gezogen wird, und der Forstmann Behringer mehr als skeptisch gegenübersteht, wenn man seine Äußerungen über die Fichte zusammenfasst. Diese Baumart, erklärt der Waldexperte, sei in früheren Jahrhunderten bei uns hier sozusagen importiert worden. Die Fichte ist eigentlich eine Baumart, die ursprünglich in den Bergen vorkommt und den dortigen Witterungsverhältnissen angepasst ist. Weil sie leicht zu verarbeiten und beispielsweise im Vergleich zur Buche schneller erntereif ist, verdrängte sie über weite Strecken die ursprüngliche, natürlich gewachsene Mischwaldstruktur. Der große Nachteil dieser Baumart: Sie ist extrem labil, weil höchst anfällig gegen Stürme und Trockenheit. Behringer vergleicht das mit einem Aktienportfolio: „Fichten wären da ein renditestarkes Papier, das aber mit hohen Risiken behaftet ist. Buchen sind dagegen so etwas wie festverzinsliche Staatsanleihen – niedere Rendite, aber sicher.“ Der prognostizierte Klimawandel wird nach Behringers Meinung dazu führen, dass der Fichtenanteil in unseren Wäldern im Laufe der nächsten Jahrzehnte im Flachland deutlich zurückgehen wird und die Fichten höchstwahrscheinlich in den bereits heute schon trockeneren Landesteilen mehr oder weniger vollständig verschwinden werden.
In gewisser Weise waren seine Vorgänger in den Klosterwäldern Visionäre, denn sie versuchten schon vor weit über einhundert Jahren, Alternativen zur damaligen Fichtenmode in ihren Wald zu bringen.
Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg wurden vereinzelt Douglasien gepflanzt, die übrigens schon vor der Eiszeit in der natürlichen Waldbestockung in Europa vertreten waren, Buchen sowieso. „Aber welche Baumart mit dem Klimawandel am besten zurechtkommen wird, können wir heute noch nicht mit Gewissheit sagen.“ Daher pflanzt Behringer je nach Standort andere heimische Laubund Nadelhölzer, wie zum Beispiel Eichen, Ahorn, Kirschen, Linden, Erlen, Lärchen oder Tannen, die besser wasserversorgte Böden bevorzugen. Und noch etwas hat die Fichte anderen Baumarten voraus: Sie ist vergleichsweise pflegeleicht. „Ich stamme eigentlich aus Unterfranken, aus dem Spessart“, erzählt Reiner Behringer. „Dort haben wir viel schlechtere Böden als hier, daher gab es in dieser Gegend immer schon viel Laubholz. Aber ein Laubholzwald braucht gerade im jungen Bestandsalter viel mehr Pflege als ein reiner Nadelwald, um später wertvolles Laubstammholz ernten zu können. Ohne eine solche regelmäßige Pflege in den ersten Jahrzehnten setzen sich nämlich im Laubholz zumeist die starkastigen Bäume durch, die später nur geringe Holzqualitäten liefern werden. Dafür fehlt vielen Waldbesitzern gerade in bisher fichtendominierten Landesteilen die nötige Erfahrung. Außerdem kann gerade im Kleinprivatwald ein zunehmender Teil der Waldbesitzer die erforderlichen Pflegearbeiten nicht mehr selbst leisten. Glücklicherweise haben sich hier in den letzten Jahrzehnten in ganz Bayern Forstbetriebsgemeinschaften gebildet, die zum Beispiel über Waldpflegeverträge die Pflege solcher Laubholzbestände durch erfahrene Forstunternehmer für ihre Mitglieder organisieren.“ Wenn er von den Buchen berichtet, die im Scheyrer Forst gefällt werden und als Furnierholz gutes Geld bringen, wird schnell klar, was damit gemeint ist: Einen Buchenwald pflanzt man nicht für die eigenen Kinder, schon eher für die Urenkel. Die besten oder ertragstärksten Exemplare sind 120 bis 150 Jahre alt.
Ein Punkt, an dem sich Pater Lukas wieder in das Gespräch einbringt und von seiner Vorstellung von Nachhaltigkeit im Klosterwald erzählt. Der Benediktiner weiß natürlich um den Schlagwortcharakter des Begriffs, hinter dem die eigentliche Bedeutung des Wortes schnell unscharf wird. Im Gegensatz dazu hat Pater Lukas eine ebenso genaue wie vielseitige Vorstellung davon, was Nachhaltigkeit für ihn, das Kloster und den Klosterforst bedeutet. Da ist einmal das Grundsätzliche: „Nachhaltigkeit heißt doch auch, dass ich etwas in besserem Zustand an meine Nachfolger übergebe, als ich es übernommen habe. Darüber hinaus haben wir, ausgehend von der Feststellung, dass das Kloster ein Gemischtwarenladen ist, schon früh versucht, Synergien zu schaffen. Im Kontext mit dem Wald ist da vor allem die Hackschnitzelheizung zu nennen, die einerseits die Verarbeitung von Holz, das früher als Abfall klassifiziert wurde, ermöglicht. Andererseits können wir damit auch das Käferholz, das gerade in diesem Jahr ein Riesenproblem darstellt, effizient verwerten. Auch das sind Aspekte nachhaltigen Wirtschaftens.“
Damit nicht genug, hat der Geistliche noch einige Feststellungen zum Thema parat, die das Thema Nachhaltigkeit vom Modebegriff auf die Ebene vernünftigen Nachdenkens über Begriffsinhalte heben: „Für mich beginnt Nachhaltigkeit nicht zuletzt bei der Personalpolitik. Wir leisten uns sozusagen einen Förster, obwohl der Klosterwald mit seinen 450 Hektar als Revier für einen Förster eigentlich viel zu klein ist. Dementsprechend ist unser Förster gleichzeitig für die Klosterteichwirtschaft und unser Biomasseheizkraftwerk zuständig und trägt damit auch in diese Betriebsteile den ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammenden Nachhaltigkeitsgedanken hinein. Wir wollen kein Brennholzlager und auch nicht in die Mittelmäßigkeit absinken, sondern sehen uns in der Verantwortung gegenüber der nächsten Generation und wollen dieser einen Wald übergeben, der gut gepflegt und zukunftsfähig ist, soweit man das heute überhaupt abschätzen kann.“ Nicht zuletzt deshalb trifft sich der Cellerar einmal wöchentlich mit seinem Förster und dem Leiter der landwirtschaftlichen Betriebe. Dreht und wendet man den Begriff Nachhaltigkeit mit dem Pater und dem Forstmann, wird irgendwann auch klar, dass individuelles Engagement zum Beispiel für eine nachhaltige Forstwirtschaft schnell an ihre Grenzen stößt, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen nicht vorhanden sind: „Vor allem für Laubhölzer sind die Sägewerksstrukturen speziell in Südbayern unterentwickelt. Anders sieht die Sache beim Nadelholz – insbesondere bei der Fichte – aus. Hier haben wir in der Region Glück, weil wir unser Holz in einigen Groß-Sägewerken aber auch erfreulicherweise in kleineren, mittelständigen Sägewerken, wie zum Beispiel Felber in Gerolsbach oder Müller in Allershausen, verarbeiten lassen können. Vor allem mit der Familie Müller und ihrer Reckmühle verbindet das Kloster eine jahrzehntelange Geschäftsverbindung, das ist für uns ein Glücksfall mit vielen Vorteilen.“
Leicht haben es beide nicht beim Thema Nachhaltigkeit, der Förster und der Pater.
Reiner Behringer muss Bäume pflanzen, von denen er nur weiß, dass Fichten den Klimawandel wohl am schlechtesten verkraften. Er versucht es daher mit einem Mix, in dem neben bekannten Laub- und Nadelhölzern auch Varietäten vorkommen, die nur Experten kennen, die aber gefragte Möbel- und Furnierhölzer sind oder einen hohen ökologischen Wert haben. Elsbeere und Schwarznuss nennt er als Beispiele und gibt zu, in seinem Job beides zu haben, viel Freiheit und eine große Verantwortung. Und Pater Lukas gehört zu den Menschen, denen es der Wettergott eigentlich nicht recht machen kann, wobei er das Lamento aber nicht mit missmutigem Gesicht, sondern mit schalkhaftem Lächeln vorträgt: „Wenn ich an unseren Biergarten denke, freue ich mich, wenn wir einen sonnigen, heißen Sommer haben. Aber wenn ich an unseren Wald denke, wäre mehr Regen sicher besser.“ So ist das eben, wenn man einen Gemischtwarenladen verwalten muss.