Der Kramerbräu:
321 Jahre Stadtgeschichte

Ökonomischer, politischer und sozialer Strukturwandel prägt und verändert auch das eigentliche Gesicht einer Stadt – ihre Gebäude. Restaurierungen und Sanierungen alter Bauten tragen nicht nur zur optischen Aufwertung dieses Gesichts bei, sondern fördern mit optimierten oder neu geschaffenen Flächen die Entstehung neuer Anfänge in altehrwürdigen Mauern.

In den kommenden Ausgaben begleitet Quer 19+ den Weg eines solchen Gebäudes –

von einem denkmalgeschützten Sanierungsprojekt mit Startschwierigkeiten beim Beginn der Arbeiten bis zu einem lebendigen, neu auferstandenen Prestigeobjekt Pfaffenhofens.

Möglich ist das wie so häufig nur durch den Ehrgeiz motivierter Bauherren, in diesem Fall von Max Hechinger, der ein traditionsreiches Gebäude zu einer Innenstadt-Perle machen will. In diesem Projekt steckt „das gesammelte Wissen aus vielen Jahrzehnten Berufserfahrung“, wie sein Sohn Max Hechinger jun. erklärt, der durch das große Haus an der Ecke Sonnenstraße und Auenstraße führt. Es dürfte so gut wie jedem Pfaffenhofener schon einmal aufgefallen sein – die Ausmaße und die mindestens ebenso weit zurückreichende Geschichte des Kramerbräu sind hingegen vermutlich nicht allen bekannt.

So ganz genau kann nicht einmal Andreas Sauer, der als Leiter des Stadtarchivs quasi das historische Gedächtnis der Stadt Pfaffenhofen darstellt, nachvollziehen, wann zum ersten Mal an dieser Stelle ein Gebäude stand. Klar ist, dass das 1698 von dem Bierbrauer Andre Crammer an dieser Stelle erbaute Haus durch einen Großbrand 1878 völlig zerstört und noch im selben Jahr von der Familie Hirschberger neu erbaut wurde, die das Haus elf Jahre zuvor für 38.500 Gulden erworben hatte. Die Familie Crammer, die in modernisierter Schreibweise bis heute namensgebend für das Gebäude steht, stellte nicht nur zwei Pfaffenhofener Bürgermeister und zeigte sich durch die gegründete Kirchenstiftung als Wohltäter, sie betrieb auch eine der größten Brauereien der Stadt, deren Gewölbe bis heute im Kramerbräu-Gebäude erhalten sind. Damit erklärt sich auch, warum das Wappen der Familie auch heute noch in einem der Glasfenster des Rathaussaals verewigt ist.

Auch die Familie Hirschberger, die ebenfalls im Besitz einer Brauerei war, trug mit der Durchführung von Versammlungen, Festen und Theatern im Kramerbräu-Saal entscheidend zur kulturellen Szene Pfaffenhofens im 20. Jahrhundert bei und eröffnete mit dem Aufstellen eines Kinematografen quasi eines der ersten Kinos Pfaffenhofens. Es war
damals eines von zweien, bei einer Einwohnerzahl von 4000. Tatsächlich finden sich im Stadtarchiv noch zahlreiche Anzeigen und Plakate, die das

Andere Pfaffenhofener Gebäude dieser Zeit:
Haus der Begegnung (ehem. Mädchenschule) von 1877, Bahnhofsgebäude von 1876, Verwaltungs­gebäude der Brauerei Müller von 1880


„ausgewählt sittenreine, höchst unterhaltende Programm“ der kinematografischen Vorführungen um 1910 bewarben, ebenso wie Einladungen zu Theateraufführungen und Festen im Saal des ersten Stocks oder in der darunterliegenden Gastronomie.

Wenn man den großen Saal im ersten Stockwerk betritt, erzeugen die den zahlreichen Fenstern geschuldete Helligkeit und die unvorhersehbare Größe des Raumes den Wunsch, dass Musik, Lachen und Stimmengewirr einsetzen und man die Unbeschwertheit und Lebensfreude verspürt, die auf den Festen in den schwierigen Zeiten des neuen Jahrhunderts sicherlich hier drinnen herrschte.


Betreten werden kann der Saal durch einen herrschaftlichen Holzbogen mit einem integrierten Sitzplatz für den Einlasskontrolleur, der durch den hervorragenden Zustand in den freigelegten Backsteinwänden derzeit ein wenig deplatziert anmutet. Wie wird die kleine Loge wohl wirken, wenn die Sanierungsarbeiten fertiggestellt sein werden? Beim Blick an die Decke fallen die massiven Stahlstreben auf, die zusammen mit den aufgestellten Trägern für die nötige Stabilisierung sorgen, auf die das Amt für Denkmalschutz ein besonders wachsames Auge hat.

„Man spürt richtig, wie sich das Gebäude langsam immer mehr stabilisiert“,

erzählt Stuckateur Thomas Schaad, der eigentlich am Bodensee wohnt und für das Mammutprojekt Kramerbräu ins Boot geholt wurde. Sein Aufgabengebiet liegt vor allem in der stückweisen Ausbesserung der über 600 Quadratmeter großen Fassade, die von ihm mühevoll in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt wird. Einerseits arbeitet er sich dafür durch die zahlreich darüberliegenden Putz- und Farbschichten, andererseits ergänzt und bereitet er abgebröckelte und fehlerhafte Elemente auf. Die zeitintensive und gleichermaßen liebvolle und vorsichtige Herangehensweise die Freilegung jeder alten Farbschicht und damit die Festlegung der farblichen Gestaltung, die das Gebäude am Ende erhalten wird. Es handelt sich um ein gedecktes Moosgrün, in dem das Gebäude bereits zur Jahrhundertwende erstrahlte und das im Zusammenspiel mit den Fenstereinfassungen in Senfgrün und den restaurierten Fensterrahmen und Fensterflügeln in Altweiß dem Kramerbräu wieder zu der repräsentativen Optik verhelfen wird, die ihm eigentlich zusteht.

Die Restaurierung dieser 72 Fenster aus Kiefernholz übernimmt die in Pfaffenhofen etablierte und bereits mit dem Denkmalpreis der
Hypo-Kulturstiftung ausgezeichnete Restauratorin Maria Magdalena Cetinbas, die mit solch einer Begeisterung Details des Gebäudes zeigt und erklärt, dass man gut verstehen kann, warum die Bauherren sie und Thomas Schaad als perfektes Team zur Leitung der munter voranschreitenden Restaurierungsarbeiten auserkoren haben.

Begibt man sich unter das Dach des Gebäudes, rufen die massiven Holzbalken und alten Treppen Bilder von den hier entstehenden Wohnungen hervor: Als perfekte Symbiose von historischem Dachstuhl und moderner Architektur werden diese Quartiere in Zukunft sicherlich ein paar der charmantesten und individuellsten Wohnmöglichkeiten der Stadt darstellen.

Der Gedanke, dass unter diesem Dachstuhl bereits 1879 zahlreiche Familien ein Zuhause fanden, in den Räumen lebten, die alten Balken berührten und den damals sicherlich noch weiter reichenden Ausblick genossen, lässt den Besucher der Baustelle noch mehr auf den Zeitpunkt hin fiebern, an dem in die Mauern wieder Leben zurückkehrt und die Tradition des Gebäudes als das fortführt, was es auch damals schon war: Lebensraum, Arbeitsplatz und gastronomische Bereicherung der Stadt.

Neben den zwölf Wohnungen beherbergt der Kramerbräu zukünftig wie schon die längste Zeit seiner Geschichte eineGastronomie im Erdgeschoss,

die mit moderner bayrischer Küche und Bier der Brauerei Müllerbräu eine weitere kulinarische Anlaufstelle in der wachsenden Pfaffenhofener Gastro-Szene darstellen wird. Um den Gästen auch die Möglichkeit zu bieten, im Freien zu sitzen, wurde der frühere Zugang des Restaurants verändert – statt über die Außentreppe ins Innere zu gelangen, legten die Restauratoren die ehemalige Durchfahrt für die Pferdewägen wieder frei, um hier einen kleinen Innenhof zu schaffen. Doch nicht nur das – selbst das alte Backsteingewölbe im ehemaligen Brauereikeller, das laut Thomas Schaad vielleicht sogar noch aus dem Vorgänger-Gebäude stammt, wird mit der Integration in das gastronomische Gesamtkonzept zu neuem Leben erweckt.

Die Zielgruppe: Pfaffenhofens Nachtschwärmer. Die soll es ja auch schon früher gegeben haben, wenn man den alten Chroniken glauben schenkt, die viel über ausgelassene Feste, Tanzveranstaltungen und Bälle berichten.

Fortsetzung // Ausgabe 21