Text: Sophia Blank // Fotos: Richard Kienberger
Stamm eines alten Baumes, was eine gewisse Art von Faszination für Pflanzen weckt und uns bei dem ein oder anderen Spaziergang durch die Natur innehalten lässt.
Bäume sind ein Symbol für das Leben. Sie wachsen, entwickeln und erneuern sich, durchlaufen Jahreszeiten des Blühens, Wachsens und Vergehens – wie das Leben selbst. Bäume begeistern Menschen seit jeher, mal durch ihren gleichmäßigen Wuchs, mal durch die Witterung, die ihre Spuren hinterlassen hat. Was viele Menschen im Großen in der Natur zum Staunen bringt, versuchen andere im Kleinen nachzuahmen. Bonsai-Bäume faszinieren besonders durch die Kunstfertigkeit, mit der die Miniaturpflanzen gestaltet werden. In ihnen steckt oft jahrzehntelange Pflege und Geduld, die Natur in ihrer kleinsten und perfektesten Form zu präsentieren.
Es ist ein recht windiger und kühler Montagabend, als sich der Parkplatz vor der Fischerhütte in Uttenhofen langsam mit Autos füllt. Aus den Kofferräumen werden Klappboxen getragen, deren Inhalt nach und nach so vorsichtig wie liebevoll auf den Tischen aufgebaut wird. Wir sind für diesen Artikel zu Gast bei den Bonsaifreunden Holledau, die sich hier einmal im Monat zum gemeinsamen Arbeiten an ihren Pflanzen treffen, Erfahrungen austauschen und sich Tipps und Inspirationen von anderen Bonsai-Liebhabern holen.

Auf den Tischen stehen mittlerweile ungefähr 30 Miniaturbäume, von denen keiner dem anderen gleicht und jeder auf seine ganz eigene Art wie ein kleines Kunststück aussieht. Die Schwierigkeit dabei erklärt Erich Greißl, eines der Gründungsmitglieder des Bonsai-Clubs: „Man kann das Projekt eigentlich nie abschließen, ein Bonsai ist niemals fertig.“ Die Miniaturbäume verändern sich stetig und das bedeutet für den Besitzer, dass es auch immer etwas zu tun gibt. „Im Endeffekt ist es ein ständiges Zwiegespräch mit dem Baum“, erläutert Rainer Dedio, der für die regelmäßigen Treffen über 90 Kilometer weit nach Pfaffenhofen fährt. „Man verändert etwas, muss beobachten, wie der Bonsai darauf reagiert, und kann danach entscheiden, wie es weitergeht.“ Das erfordert definitiv ein gewisses Maß an Pflanzenkenntnis und vor allen Dingen eines: Geduld.
Das sei es auch, was besonders Anfängern im Umgang mit ihren ersten Pflanzen fehle, erklären einige der Bonsaifreunde. Oft schon haben sie aus dem persönlichen Umfeld Sätze wie „Bonsai? Hatte ich auch schon, ist mir eingegangen!“ gehört.
Der Begriff Bonsai stammt aus dem Japanischen und heißt übersetzt so viel wie „Baum in der Schale“. Das bedeutet, dass das kleine Bäumchen in ebendieser besagten Schale auch nur begrenzt Platz hat, Wurzeln auszubilden, festen Halt zu finden und auch Nährstoffe aufzunehmen. Deshalb ist es allein schon eine Kunst für sich, die Bedürfnisse der Pflanze zu verstehen: Wie reagiert sie auf Veränderung, welche Nährstoffe benötigt sie, braucht sie mehr oder weniger Wasser, mehr Licht? Gerade das Thema Licht wird oft unterschätzt, denn Bonsai-Bäume sind meist Outdoor-Pflanzen, wie ihre „großen Vertreter“ auch. „Wenn ein Bonsai in einem Zimmer steht, bei trockener Luft und wenig Lichteinstrahlung, sei es auch nur einen Meter weg vom Fenster, dann kann der eigentlich schon nichts mehr werden“, erklären die Spezialisten. Je nach Baumart, Größe und Alter kann es beispielsweise auch vorkommen, dass der Bonsai in den Sommermonaten mindestens ein- bis zweimal täglich gegossen werden muss. Zu viel Wasser lässt die Wurzeln faulen, bei zu wenig Wasser trocknen sie aus. Bis der goldene Mittelweg gefunden ist, kann es auch passieren, dass die ein oder andere Pflanze den Testversuchen zum Opfer fällt.
Auch heute hat einer der Bonsaifreunde ein Exemplar mitgebracht, das sich gerade nach einer Phase mangelnder Pflege erholen muss. Langsam kommt der kleine Ahornbaum mit den braunen, verwelkten Blättern wieder zu Kräften. Die Zweige in der Baumkrone entwickeln neue Triebe, die gen Himmel wachsen. Diese würde man beim Bonsai normalerweise abschneiden, doch genau in solchen Fällen zeigt sich, wer ein echter Pflanzenkenner ist. „Über diese jungen Triebe passiert die Photosynthese und die ist notwendig, damit der Baum sich regenerieren kann“, weiß Rainer Dedio. Er betreibt wie viele andere, die heute vor der Fischerhütte zusammengekommen sind, die Bonsaikunst seit mehreren Jahrzehnten und gibt sein Wissen gerne an andere weiter.
„Natürlich kann das jeder auch alleine in seinem Garten machen. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass man erst durch den Erfahrungsaustausch weiterkommen kann.“
Oft sitze man vor dem eigenen Baum und werde „betriebsblind“. „Ja, so kann man das wirklich nennen. Man schaut den eigenen Bonsai an, jeden Tag, und manchmal weiß man auch, dass irgendetwas nicht passt. Aber man kommt einfach nicht drauf, wo man die Schere oder den Draht ansetzen muss, um das gewünschte Resultat zu erhalten. Und dann schaut dir jemand über die Schulter und sieht sofort, welcher Zweig stört.“
Apropos Schere und Draht: Das sind nur einige der Werkzeuge, die auf den Tischen
bereitliegen. Sie werden genutzt, um den Bonsai zu gestalten. Dabei geht es nicht nur darum, den Baum klein zu halten. Während manche Zweige möglichst nah am Stamm abgeschnitten werden, gibt es andere, die zu neuen Hauptdarstellern werden. Man biegt sie mithilfe eines Drahtes vorsichtig in die gewünschte Richtung und versucht dadurch, die Formgebung des Baumes zu beeinflussen.
Der gesamte Prozess der Bonsai-Gestaltung ist sowohl Kunst als auch Wissenschaft. Es erfordert Geduld, Wissen und ein tiefes Verständnis für die Pflanzen.
„Das schöne ist doch, dass wir die Natur ein Stück weit so gestalten können, wie wir sie uns vorstellen“, erläutern Josef Heinzlmair und Rabea Gschaider-Abicht und ergänzen: „Vorausgesetzt, wir berücksichtigen die Bedürfnisse der jeweiligen Pflanze.“
Und wie stellen sich die Bonsaifreunde ihre Miniaturbäume vor? „Ein Bonsai soll Emotionen wecken und eine Geschichte erzählen“, sind sich die Clubmitglieder einig. Ein windgepeitschter Baum oder auch eine Waldlichtung können das zum Beispiel sein. Man möchte eine Landschaft, eine Situation oder eine ganz bestimmte Stimmung
gestalten. Und das funktioniert am besten mit einem Baum, der besonders alt und reif aussieht. Das tatsächliche Alter spielt beim Bonsai eher eine untergeordnete Rolle. Vielmehr geht es um die Optik, die sich unter anderem in einem breiten Wurzelansatz, einem kräftigen Stamm oder einer dichten Krone widerspiegeln kann.
Auch der Goldene Schnitt kommt für eine Beurteilung der Ästhetik oft zum Tragen. Die Faustregel besagt, dass der Stamm etwa ein Drittel und die Blätter und Zweige die restlichen zwei Drittel der Gesamthöhe betragen sollten. Regeln gibt es bei der Gestaltung viele – und, wie überall sonst auch, werden diese von einigen strenger, von anderen weniger konsequent befolgt. Die Königsdisziplin für alle ist jedoch die gleiche: Der Bonsai soll natürlich aussehen. Solche makellosen Bäumchen ohne sichtbare Schnittstellen erfordern viel Zeit, Geschick und Erfahrung.

Geduld und Hingabe sind gefragt: Manche der mitgebrachten Bäume sind schon gut 30 Jahre alt, andere wurden erst vor wenigen Jahren als Setzlinge oder Samen eingepflanzt und werden so Schritt für Schritt herangezogen. Denn im Prinzip kann jede Pflanze als Bonsai gestaltet werden, sofern der Rückschnitt entsprechend professionell durchgeführt wird. Für Anfänger empfiehlt sich der Start mit gekauften, bereits vorgestalteten Bäumen, die Erfahreneren schätzen aber auch die Methode des Selbstziehens, da sie den Aufbau des Baumes dadurch von Anfang an steuern können.
Geeignetes Material findet man oft auch direkt vor der eigenen Haustüre. Ein Bäumchen hat Rainer Greißl zum Beispiel direkt vor einer Litfaßsäule mitten in Pfaffenhofen ausgegraben.
Das kleine Bäumchen, das sich den Weg durch den Asphalt gebohrt hatte, wurde jedes Mal, wenn die Säule neu beklebt wurde, zusammengetrampelt. Heute steht es vor ihm und erstrahlt in all seiner Pracht. Dazu trägt übrigens auch die Schale bei, in der der Bonsai steht.
Auch hier geht es wie so oft in der Bonsaikunst nicht nur um den persönlichen Geschmack, sondern auch um feste Regeln, die eingehalten werden wollen, um die ästhetischen Aspekte der Stilrichtung bestmöglich zu präsentieren. Demnach sollte die Schale beispielsweise im Verhältnis zur Größe des Baumes stehen. Die Länge der Schale beträgt üblicherweise etwa zwei Drittel der Höhe des Baumes, die Tiefe entspricht ungefähr der Dicke des Stammes. Auch Farbe und Form oder die Wahl der Glasur werden durch ein Regelwerk bestimmt. Die Farbe der Schale sollte die Farben des Baumes ergänzen oder einen Kontrast dazu bilden. Auch dezente Farben in Erdtönen sind beliebt, da sie den Baum nicht überstrahlen. Glasierte Schalen werden für Laubbäume verwendet, unglasierte Schalen hingegen eher für Nadelbäume eingesetzt. „Bis man die richtige Schale gefunden hat, können schon einmal Wochen oder Monate vergehen“, meint Rainer Dedio. Besonders wertvolle Exemplare hat er beispielsweise aus einem Töpferdorf in Japan mitgebracht.

Für ihn ist die Wahl der Schale fast genauso wichtig wie die Wahl des Schnitts. Anton Enzmann hingegen war die Suche nach der „perfekten“ Schale leid. Wenn er eine konkrete Vorstellung hat, töpfert er sie sich mittlerweile selbst. Eine ganze Kiste voll hat er heute zur Auswahl mitgebracht, die er stolz präsentiert und deren verschiedene Einsatzzwecke er passioniert erläutert.
Mit den Ergebnissen ihrer jahrelangen Arbeit sind die Bonsaifreunde Holledau unter anderem auf Wettbewerben und Ausstellungen vertreten, auf denen man sich auch mit anderen Bonsai-Fans austauscht und Anregungen holt. Mittlerweile hat sich der Club einen sehr guten Ruf in der Szene geschaffen und über die Jahre sind Freundschaften in ganz Europa entstanden. Ein Highlight in diesem Jahr war die eigene Veranstaltung „Klappspaten Arbeitsgemeinschaft“ im Juni, zu der Teilnehmer aus ganz Deutschland, Österreich und Südtirol nach Pfaffenhofen angereist sind. Davon schwärmen die Mitglieder auch bei ihrem Monatstreffen und fiebern gleichzeitig schon dem nächsten großen Event entgegen, auch wenn es bis dahin noch dauert: Im April geht es wie jedes Jahr zur großen Bonsai-Schau nach Arco am Gardasee. Dort bietet sich die beste Gelegenheit, um über den eigenen Teller- oder besser gesagt Schalenrand hinauszuschauen und sich Inspiration für die eigenen Projekte zu holen.