Wegkreuze und Marterl

Text und Fotos: Richard Kienberger

Die Bundesstraße 300 gehört im Ab­schnitt zwischen Langenbruck und der Landkreisgrenze westlich von Hohenwart sicher zu den meistbefahrenen Strecken im Kreis, sieht man einmal von den Autobahnen ab. Tausende Fahrzeuge passieren den Streckenabschnitt jeden Tag. Wie viele der Auto- oder Lastwagenfahrer mögen wohl das Feldkreuz wahrnehmen, das kurz vor dem Abzweig nach Pörnbach und Pfaffenhofen unmittelbar neben der Fahrbahn in Richtung Schrobenhausen steht? Wie bewusst sehen wir noch die zahlreichen Kreuze, die in unserer Heimat zwischen Feldern, an Rainen und Waldrändern als Hofkreuze auf Bauernhöfen oder mitunter majestätisch mitten in einer Wiese stehen? Es gibt sicher Kreuze, an denen wir schon hundert Mal vorbeigegangen sind und die wir trotzdem nicht detailliert beschreiben könnten.

Dabei sind Feldkreuze ein geradezu unerschöpflich vielseitiges Thema, denn kaum eines gleicht dem anderen. Sie können aus Holz oder Metall gefertigt sein. Steinkreuze findet man in unserer Gegend eher selten. Manchmal steht da nur ein schlichtes Kreuz, ohne weiteren Schmuck, die meisten sind allerdings in klassischer Form mit der Figur des Gekreuzigten ausgeführt, geschnitzt oder in Eisen gegossen oder als fragile Gipsskulptur, deren Anstrich allmählich von Sonnenstrahlen und Wind und Regen verzehrt wird. Gelegentlich wird das Ensemble noch durch eine Madonna oder einen mehr oder weniger frommen Spruch ergänzt:

„Christi Blut macht alles gut“.

Wegkreuze und Marterl

Neue Feldkreuze sind eine Rarität: Der moderne Mensch macht sein kleines Kreuz heute meistens nur noch am Straßenrand an der Stelle, an der ein naher Verwandter oder Freund den Tod gefunden hat. Gründe, die unsere Vorfahren vor hundert oder zweihundert Jahren veranlasst haben, ein Kreuz aufzustellen, werden heute kaum noch der Kraft des Glaubens und dem Wirken überirdischer Kräfte zugeschrieben.

Viele Feldkreuze verdanken ihre Existenz der Rettung aus großer Not, wie es auf Votivtafeln so schön heißt. Wer einen Blitzschlag überlebte, wer sich nach Missernten und vielen Gebeten wieder über eine prall gefüllte Scheune freuen konnte, wer irgendwie Glück im Leben hatte und sich bei seinem Herrgott dafür bedanken wollte, stellte ein Kreuz auf. Aber auch das Gegenteil von Glück konnte ein guter Grund sein, das Ereignis mit einem Kreuz vor dem Vergessen zu bewahren: Dann erinnert es an den Ort eines Verbrechens, an Unfälle – zum Beispiel beim Holzeinschlag – oder vielleicht sogar an Kriegsereignisse. Ein Beispiel dafür findet sich versteckt an einer Mauer des Anwesens am Kuglhof. Es ist dem Gedenken an den gewaltsamen Tod von drei Soldaten im Krieg der alliierten Bayern und Franzosen gegen die Österreicher gewidmet. R.I.P. endet der Hinweis auf dem Marterl, Ruhe in Frieden. Eine Glaubensformel, die Trost spenden soll. Aber beim Nachdenken darüber, wie die drei in den napoleonischen Kriegen anno 1809 gefallen sein mögen, lässt einen erschaudern.

Wegkreuze und Marterl

Manchmal waren Kreuze aber auch nur eine Art Wegweiser, die sogar in Wanderkarten vermerkt wurden und eine gute Orientierungshilfe darstellten. Man vergisst ja leicht, dass es auch einmal eine Zeit gab, in der sich die Menschen noch ohne Navigationsgeräte zurechtfinden mussten.

In gewisser Weise ermöglichen die Symbole eines lebendigen Volksglaubens aber auch Orientierung. Denn Feldkreuze wurden bevorzugt in katholischen Regionen aufgestellt. Theologen könnten sicher ausführlich erklären, warum das so ist. Viele Kreuze sind recht schlicht und würden folglich auch zum Protestantismus passen, dem man ja eine gewisse Strenge und Abneigung gegen die barocken Ausformungen des Katholischen nachsagt. Aber an diese feinen Unterschiede zwischen den „Lutherischen“ und den katholischen Christen denkt heute beim Passieren eines Wegkreuzes vermutlich kein Mensch mehr. Während man früher vor einem Kreuz innehielt, ein kurzes Gebet sprach oder sich zumindest bekreuzigte, sind Mann oder Frau heutzutage hauptsächlich mit Joggen, Walken oder Autofahren beschäftigt. Die Zeiten ändern sich eben. Was aber wiederum nicht heißt, dass die Kreuze flächendeckend verfallen würden. Ganz im Gegenteil, die meisten werden liebevoll gepflegt, restauriert oder gelegentlich mit einem Strauß Wildblumen geschmückt. Aber genau so wenig wie man ein Marterl im Detail beschreiben könnte, weiß der eilige Waldläufer, wer dafür verantwortlich ist: eine Privatperson, ein Gartenbauverein, die Gemeinde?

Wegkreuze und Marterl

Die Kreuze ändern sich mit den Jahreszeiten, mit dem Wetter oder der Tageszeit.

Wenn dramatisches Abendlicht im Westen die Wolken konturiert, erinnert das Feldkreuz in der Wiese neben der Pfaffenhofener Umgehungsstraße im Gegenlicht fast an ein Gipfelkreuz in den Bergen. Die goldenen Figuren auf dem Gedenkkreuz für Minister Eisenmann in Ampertshausen leuchten vor einer tiefgrauen Regenwolke noch intensiver.

Das sogenannte Hofkreuz neben dem Klosterweiher in Scheyern bildet im Winterhalbjahr einen schönen Kontrast zu der Umgebung. Dann haben die Bäume ihre Blätter abgeworfen, sodass das wilde Muster der schwarzen Äste im Hintergrund die klaren Linien des Kreuzes – waagrecht, senkrecht, ein Halbkreis als schützendes Dach – beeindruckend
konturiert:

Steh still du Wandersmann, schau Jesu Leiden an …