Von der Zeit verschüttet

Text und Fotos: Richard Kienberger


Die unterirdischen Geheimnisse der Franziskanermönche


Wenn sich Politiker mit Journalisten unterhalten, lassen sich diese Gespräche üblicherweise grob in drei Schubladen einsortieren. Da gibt es die öffentliche Pressekonferenz, sogenannte Hintergrundgespräche und private Unterhaltungen. Hintergrundgespräche dienen meistens dazu, Hinterfotzigkeiten über Parteifreunde und andere Intimfeinde loszuwerden, ohne dass am nächsten Tag der Name des Einflüsterers in der Zeitung gedruckt oder im Fernsehen erwähnt wird. Privatgespräche – das sagt der Name schon – sollten eigentlich den Kreis der Beteiligten nicht verlassen. Insofern kann der Verfasser dieser Zeilen nur hoffen, dass Hans Prechter gnädig ist und die Indiskretion verzeiht, wenn im Nachfolgenden der Inhalt eines privaten Gesprächs coram publico ausgebreitet wird. Aber die Anekdote, die der ehemalige Pfaffenhofener Bürgermeister ganz privat am Rande einer Vernissage erzählte, ist so amüsant, dass man sie einfach weitererzählen muss.



Prechter berichtete davon, wie er vor langer Zeit, getrieben von großer Neugier, gemeinsam mit einem Maurer vom Stadtbauhof in die Krypta unter der Spitalkirche hinabstieg. Sie wollten wissen, ob dort hinter den schmucklosen Ziegelsteinen wirklich die Gebeine von Mönchen, Äbten oder Priestern ruhen. Vielleicht hoffte das Duo ja insgeheim, als Entdecker eines verborgenen Schatzes in die Stadtgeschichte einzugehen. Vorsichtig öffneten sie eine der leicht zurückgesetzten Nischen in dem rund dreihundert Jahre alten Mauerwerk, hinter den Ziegeln lag tatsächlich ein Skelett. „Aber als dann der Maurer seinen Hammer schwungvoll in der Grabkammer abgelegt hat, ist der Kopf vom Rest des Skeletts weggekullert. Da sind wir vielleicht erschrocken.“ Schnell mauerten Prechter und sein Konfident die frei gelegte Öffnung wieder zu, 


seitdem herrscht wieder Grabesruhe in der Gruft unter der Kirche des einstigen Franziskanerklosters.


Die Neugier des langjährigen Kommunalpolitikers tangiert eines der großen historischen Geheimnisse der Kreisstadt. Immer wieder erzählte man sich Geschichten über Geheimgänge, die ausgehend vom Unterbau der Spitalkirche unter dem Hauptplatz verlaufen sollten. Vermutlich nicht ganz ohne Grund, denn viele Klöster verfügten über solche Fluchttunnel. Angelegt in unruhigen Zeiten, in denen Kriege und Religionskriege fast schon an der Tagesordnung waren und es daher angeraten schien, für den schlimmsten Fall vorzusorgen. Manche Erzählungen verstiegen sich sogar zu der Spekulation, es gebe eine unterirdische Verbindung zwischen dem Scheyerer und dem Franziskanerkloster am Pfaffenhofener Hauptplatz, dessen Mönche 1802 im Zuge der Säkularisation enteignet wurden und ausziehen mussten. Hans Prechter ist einerseits überzeugt, dass es diese klandestinen Tunnel – vielleicht nur bis hinüber zum heutigen Pfaffelbräu – irgendwann einmal gegeben hat. Aber genauso überzeugt ist er, dass „davon inzwischen garantiert nichts mehr zu finden ist. Der Pfaffenhofener Hauptplatz ist im Lauf der Zeit so oft umgebaut worden, nicht zuletzt, als man die Kanalisation angelegt hat, da wurde alles zugeschüttet, was es möglicherweise einmal gegeben hat“, sagt der Stadt rat, dessen Interesse für die Spitalkirche und ihre eventuellen Geheimnisse in seiner Zeit als Bürgermeister begann: „Damals stand eine Renovierung der Spitalkirche an. Da mussten wir uns natürlich informieren, aber bei mir ist das Thema allmählich zum Hobby geworden.“ Doch auch wenn die Tunnel aller Wahrscheinlichkeit nach buchstäblich von der Zeit verschüttet wurden, kann die kleine, von außen eher unscheinbare Spitalkirche, in die sich tagsüber nur wenige Gläubige zu einem stillen Gebet verirren, mit wunderschönen Altargemälden und einigen Überraschungen aufwarten. Zu sehen ist da die heilige Familie und eine schwangere Madonna, keine alltäg lichen Darstellungen. Prechter kennt zahl – reiche Geschichten und Schnurren (wie die von dem durch zu viel Weihrauch ausgelösten Feueralarm) über die einstige Klosterkirche zu berichten, doch viel Wissen um die historischen Fakten ist in den Jahren nach der Säkularisation verloren gegangen.



Den Politiker fasziniert an dem Gotteshaus vor allem dessen Schlichtheit.


Die Spitalkirche stammt aus der Barockzeit und trotz einiger epochetypischer Rundungen fehlt ihr der vordergründige, überbordende Prunk vieler Barockkirchen. Was vermutlich daran liegt, dass die in Pfaffenhofen wirkenden Franziskaner eine gewisse Verpflichtung fühlten, ihr Selbstverständnis als Bettelorden und die gepredigte Schlichtheit auch in der Architektur ihrer kleinen Klosterkirche zum Ausdruck zu bringen. Zudem wurde an der Innenausstattung der Spitalkirche nicht viel ver – ändert, weil sie schon rund achtzig Jahre (also vergleichsweise kurz) nach ihrem Bau enteignet worden war und es in der Folge keine Pfarrherrn gab, die das Gotteshaus den jeweiligen Moden oder ihrem individuellen Geschmack entsprechend umgestaltet hätten. Das künstlerisch wertvollste Detail ist allerdings verloren gegangen. Es war ein Deckengemälde des älteren der berühmten Ge – brüder Asam, die zu der Zeit, als die Spitalkirche gebaut wurde, mit dem Freisinger Dom beschäftigt waren. Asam nahm sich die Zeit, auch die kleine Klosterkirche in Pfaffenhofen auszuschmücken. Das Deckenfresko über – dauerte nicht, weil das Kirchendach undicht wurde.


Die Eigenheiten der Spitalkirche beginnen bereits mit den Eigentumsverhältnissen. Nicht jede Kirche gehört „der Kirche“.



Die Enteignung des Franziskanerklosters und seine Übertragung an die Heiliggeistspitalstiftung wurde ja nie rückgängig gemacht, bis heute sind die Gebäude im Besitz der inzwischen in Hl. Geist- und Gritsch’sche Fundationsstiftung umbenannten Institution, die vom Pfaffenhofener Stadtrat verwaltet wird. Ein anderes Beispiel: Selbst unter den älteren Pfaffenhofenern dürfte es viele geben, die nicht wissen, welche Verbindung es zwischen MAN und der pinkfarbenen Kirche gibt. MAN ist heute nur noch als Lkw-Hersteller bekannt, beschäftigte sich aber in der Frühzeit der Firmengeschichte u. a. 62 Quer 19 I Nr. 10 auch mit der Konstruktion und dem Bau von Kränen, Verlade brücken und Stahlhochbauten aller Art. Als sich Ende des 19. Jahrhunderts herausstellte, dass der originale Turm an der Nordseite der Spitalkirche marode war und abgetragen werden musste, bekam das ehemalige Klosterkirchlein einen neuen Turm – an der gegenüberliegenden Giebelseite und damit gleichwie dem Hochaltar entgegengesetzt. Der polygonale Turm ist in gewissem Sinne in Fachwerkbauweise ausgeführt: Ein von MAN geliefertes Stahlgestell wurde nach der vorletzten Jahrhundertwende am Hauptplatzgiebel montiert, ausgemauert und schließlich verputzt. Aber um zu ergründen, was genau sich über und unter dem Hauptschiff der Spitalkirche befindet, braucht es einen kundigen Führer, denn vom Kirchenschiff aus führt kein Weg nach oben oder unten. Wer wäre da besser geeignet als Hans Prechter? Er war ja schon oft in diesem Gemäuer und kennt die eine oder andere Gruft, „aus eigener Anschauung“ ist man versucht zu sagen. Er bringt den Generalschlüssel mit, der die Seitentür unter den Arkaden öffnet, die in den ehemaligen Kreuzgang führt. Hier war nach der Säkularisation des Klosters das städtische Spital untergebracht, es gab Benefiziatenwohnungen, später ein Altenheim und heute nutzen einige Pfaffenhofener Vereine einen Teil der Räumlichkeiten.


Vom Kreuzgang aus gelangt man nach unten und oben und dort einerseits auf die Empore mit der in den Siebzigerjahren angeschafften kleinen Orgel sowie in den Dachstuhl der Kirche, der viele Probleme macht: Die im Inneren unübersehbaren Risse wurden vom Dachstuhl verursacht, der nach außen schiebt und deshalb bei der anstehenden Renovierung des Gebäudes mit Zangen stabilisiert werden muss. Über eine schmale, in Jahrhunderten ausgetretene Holzstiege steigt man hoch in den Bereich zwischen der Oberseite des Kirchengewölbes und dem Dach. Dieser Zugang liegt ungefähr hinter dem Hauptaltar und ist vermutlich noch auf den originalen Kirchturm zugeschnitten. Im Gebälk ist das Gegengewicht zum ewigen Licht verankert, das die Lampe einerseits hoch über dem Altar hält und es zugleich ermöglicht, sie zum Nachfüllen nach unten zu ziehen. Ein Steg aus uralten Holzbohlen liegt lose über den schweren, handbehauenen Dachbalken und führt an die westliche Giebel- oder Hauptplatzseite. Im Halbdunkel ist die Metallkonstruktion erkennbar, die aus einem Mix von sicherlich tonnenschweren Eisenträgern und filigraneren Elementen besteht. Wer keine Scheu vor altem Taubendreck (das meiste wurde vor Jahren mühsam weggeschafft und der Dachstuhl dann „taubendicht“ versiegelt), Spinnweben und dem Staub von dreihundert Jahren hat und zudem einigermaßen gelenkig ist, könnte noch höher in den Turm hinaufklettern.



Aber uns zieht es hinab in die Tiefe. Dorthin, wo die toten Mönche liegen, mitsamt ihren Geheimnissen.


Die Krypta mit den Grabstätten der alten Franziskaner wurde erst in den Siebzigerjahren bei Renovierungsarbeiten entdeckt und freigelegt – was den Spekulationen über die geheimen unterirdischen Fluchtwege sicherlich viel Nahrung gegeben hat. Zumal die Kellerräume in den Jahren kurz vor und nach der Säkularisation der Kirche angeblich auch als Munitionsdepot genutzt wurden. An einer der schmucklosen Türen klebt ein in Kunststofffolie verpackter Zettel mit der Aufschrift „Krypta“. Eine breite Treppe führt hinab in den gemauerten Keller, in dem es ein wenig feucht riecht, aber keineswegs schimmlig müffelt. Ein alter Stuhl klemmt zwischen zwei Holztüren, rechts davon befindet sich eine zweiflüglige Gittertür, hinter der es stockdunkel ist. Das ist die eigentliche Gruft mit den Grabstätten, die erstaunlich schmucklos sind. Der Lichtschalter ist um die Ecke in einer Nische angebracht. Keine Marmortafeln verraten, ob hier einfache Mönche, höherrangige Klosterbrüder oder vielleicht nur Äbte ihre letzte Ruhe fanden. Hans Prechter hält es für möglich, dass nicht allzu viele Franziskaner in dem Kloster gelebt haben und die Grabkammern im Ab – stand von mehreren Jahren immer wieder besetzt wurden. Das alte Gemäuer unter der Kirche lässt keinen Rückschluss darauf zu, wo hier in der Vergangenheit ein Geheimgang begonnen oder geendet haben könnte. Es gibt nur die Zugänge zu den zwei Kellerräumen und der Krypta. Und die verschlossenen Gräber, in denen die vor Jahrhunderten verstorbenen Franziskaner ruhen. Aber nachdem die schlauen Mönche sicher um die Angst ihrer Zeitgenossen vor den Verstorbenen wussten, könnte sich der Zugang zu den mysteriösen Geheimgängen ja vielleicht doch irgendwo hinter den Ziegelsteinen befinden, die in der Krypta die Toten von der Welt der Lebenden trennen? Aber um das zu überprüfen, müsste man einen unerschrockenen Maurer dabeihaben, der die Grabkammern sach kundig öffnen könnte.