Salud! Prost!
Text: Albert Herchenbach // Bilder: Archiv HVG
Es könnte ja sein, dass es den ein oder anderen Hallertauer zum Urlaub in die Ferne zieht, zum Beispiel nach Japan, Vietnam oder Mexiko. Wenn er sich dann am Ziel, erschöpft vom Langstreckenflug, ein einheimisches Bier gönnt, schmeckt er Heimat auf der Zunge.
Denn egal, ob er sich in Tokio ein spritziges Nodogoshi gönnt, in Hanoi eine Halbe Halida oder sich am Tresen in Guadalajara ein Pacifico einschenken lässt – das einheimische Bier ist mit Hopfen aus der Holledau gebraut. Geliefert hat es den Brauereien in Fernost und Südamerika die HVG, die Hopfenverwertungsgenossenschaftt in Wolnzach. In diesem Jahr kann sie ein Jubiläum feiern: Vor 70 Jahren, exakt am 6. Oktober, ist die HVG gegründet worden.
Um zu verstehen, was die HVG treibt, muss man ein wenig ausholen. Hopfen kann zwar überall auf der Welt wachsen und sattes Blattwerk entwickeln, aber zur Blüte kommt er nur zwischen dem 46. und 51. Breitengrad. Der Grund: Er braucht eine Tagzeitlänge von 17 Stunden, um einen Anreiz zum Blühen zu bekommen. Wolnzach auf dem 48. Breitengrad bietet dem Humulus lupulus, so der botani- sche Name, dafür die besten Voraussetzungen. Das „Grüne Gold“ wächst in Deutschland in nennenswertem Ausmaß noch in der Gegend um Tett- nang , um die mittelfränkische Stadt Spalt und im Elbe-Saale-Gebiet. Die dortigen Pflanzer haben sich vor über 20 Jahren der HVG angeschlossen. Einzig die 46 Bauern aus Spalt wollen außen vor bleiben und ihren Hopfen selber vermarkten. Damit entstand die größte Hopfenvermarktungs-Genossenschaft weltweit. Das Besondere und Einzigartige an der HVG: Sie gehört den Mitgliedern und damit 1007 aktiven Pflanzern mit einer Anbaufläche von 20.182 Hektar, auf der 30 Hopfensorten angebaut werden – die „Seele“ für 900 Millionen Hektoliter Bier. Wer sich diese Menge nicht vorstellen kann: Füllt man sie in 0,5-Literflaschen ab und stellt diese aneinander, umkreist die Flaschenschlange 312 Mal den Erdball.
So viel Gerstensaft wird natürlich nicht zwischen Flensburg und Freilassing getrunken. 80 Prozent des HVG-Hopfens werden exportiert. „Die Musik spielt im Ausland“, sagt HVG-Vorstand Dr. Erich Lehmair. „Die wichtigsten Sprachen für den Handel sind Englisch, Spanisch und Russisch.“ Was daran liegt, dass 35 Prozent des weltweiten Hopfens in Deutschland angebaut werden, weitere 40 Prozent in den USA, der Rest verteilt sich auf rund 30 Länder.
Womit klar ist: Um ihre Dolden an den Mann beziehungsweise zu den internationalen Brauereien zu bringen, brauchen die Pflanzer Kontakte.
Wer in der Holledau weiß schon, dass es in Tokio die Sapporo-Brauerei gibt oder Cervecerias in Tijuana? Deshalb haben sie schon immer ihren Hopfen an Händler verkauft, die international gut vernetzt und im 19. und 20. Jahrhundert dafür bekannt (und mitunter auch berüchtigt) waren, sich mit dem Grünen Gold eine goldene Nase zu verdienen. Inzwischen teilen sich in Deutschland drei Global Player den Markt, die sich je 30 Prozent der Hopfenernte in Deutschland sichern: Steiner in Mainburg, die Wolnzacher HVG und der Konzern BarthHaas in Nürnberg, der allerdings weltweit Hopfen einkauft.
Als sich am 6. Oktober 1953 im voll besetzten Saal des Mainburger Christlbräu Hallertauer Hopfenbauern, Hopfenfunktionäre sowie Regi- onal- und Agrarpolitiker trafen, verabschiedeten sie die Statuten der Neugründung: „Die Genossenschaft will in erster Linie durch ihre geschäftlichen Einrichtungen die wirtschaftlich Schwachen stärken und das geistige und sittliche Wohl der Genossen fördern nach dem Grundsatz ‚Einer für alle, alle für einen‘.“ Was nicht jedem gefiel: 25 Jahre später musste sich die HVG als „Hopfenkommunisten“ beschimpfen lassen. Mitglieder konnten alle Personen werden, die den Hopfenbau „in den Siegelbezirken der Hallertau“ betrieben oder sich allgemein „die Förderung des Hopfenabsatzes angelegen sein lassen“ wollten.
Vor 70 Jahren gab es noch rund 10.000 Pflanzer, ein Bauer bewirtschaftete im Durchschnitt einen halben Hektar Land, heute sind es 21 Hektar.
Schon damals haben die Holledauer Pflanzer ihre Säcke zusammengeworfen und ihren Hopfen in größeren Chargen den Händlern verkauft. Denn wer nur drei oder vier Säcke anzubieten hatte, erzielte möglicherweise nur einen Mitleidspreis. Und wenn es ein Überangebot gibt, dann sieht’s für den Pflanzer ohnehin mau aus.
Um solche Risiken zu vermeiden, schließt die HVG mit ihren Mitglie- dern langfristige Verträge zu festen Preisen ab. Wie das funktioniert, kann Dr. Lehmair recht plastisch erklären. „Wir schließen Verträge auf bis zu zehn Jahre im Voraus ab, die Ernte von 2030 haben wir zum Teil schon gekauft. Das ist natürlich ein Risiko, und zwar für beide Seiten.“ Auch der beste Analyst könne nicht vorhersehen, wie sich die Preise entwickeln. „Das ist wie auf dem Aktienmarkt.
Hinzu kommt die Unberechenbarkeit des Wetters. Im letzten Jahr, erinnert sich der HVG-Vorstand, haben die Pflanzer draufgezahlt, es war ein sehr trockenes Jahr, die Ernte war historisch schlecht. Was insofern fatal ist, weil die HVG auch mit den Brauereien weltweit langfristige Verträge abgeschlossen hat, in denen Liefermengen und Preise festgelegt sind. Die internationalen Konzerne haben nicht immer Verständnis für deutsche Wetterkapriolen, zumal sich die großen Konkurrenten in den USA als die zuverlässigeren Lieferanten empfehlen. Deren Hopfenfelder werden zu 100 Prozent künstlich bewässert. In der Holledau sind es gerade mal 20 Prozent. „Die HVG ist extrem aktiv“, bekräftigt Dr. Lehmair, „die Bewässerung voranzubringen und die Hopfengärten dem Klima anzupassen.“ Die Genossenschaft unterstützt die Pflanzer bei einer gemeinsamen Bewässerung.
Aber das ist längst nicht das einzige Engagement der HVG. Im Hopfenforschungszentrum Hüll wird ständig an neuen krankheitsresistenten und klimatoleranten Sorten mit herausragenden Braueigenschaften experimentiert.
Den weltweiten Brauereikonzernen kann die Wolnzacher Genossenschaft 30 Sorten anbieten. Warum so viele? „Bierbrauen“, erklärt Dr. Lehmair, „ist wie Kuchenbacken. Was dort die Gewürze sind, ist beim Bier der Hopfen, er gibt ihm den Geschmack und die Grundbittere. Jeder Hopfen schmeckt anders.“
Die Sorte „Hallertau Blanc“ zum Beispiel wurde 2012 in Hüll für die Bedürfnisse der Craft-Bier-Szene gezüchtet. „Die Flavor-Sorte“, heißt es in der Beschreibung, „besticht durch ein intensives fruchtiges, zitrusartiges und weinartiges Hopfenaroma.“ Anders der „Hallertauer Magnum“, ebenfalls eine Züchtung aus Hüll.
„Mit Magnum gebraute Biere zeigen eine harmonische Bittere mittlerer Intensität und ein leicht blumiges und hopfenwürziges Aroma.“ 2006 konnte die HVG ihr Portfolio um eine ganz besondere Sorte erweitern. Sie erwarb die Rechte an „Herkules“, die als „wahrer Held unter den Bitterhopfen“ gilt. Herkules, heißt es, überzeugt durch sein würziges, kraftvolles Aroma. Seinem Namen entsprechend wird er im Sudkessel als „Arbeitstier“ zur Bitterung eingesetzt. Dem Bier verleiht er eine sanfte, jedoch auch kräftige und sehr lang anhaltende und würzige bittere Hopfennote.
Sie erwarb die Rechte an „Herkules“, die als „wahrer Held unter den Bitterhopfen“ gilt. Herkules, heißt es, überzeugt durch sein würziges, kraftvolles Aroma. Seinem Namen entsprechend wird er im Sudkessel als „Arbeitstier“ zur Bitterung eingesetzt. Dem Bier verleiht er eine sanfte, jedoch auch kräftige und sehr lang anhaltende und würzige bittere Hopfennote.
Weitere Meilensteine in der HVG-Geschichte: 1974 wurde die Genossenschaft von der EG, dem Vorgänger der EU, als Erzeugerorganisation anerkannt. Seither fließen Subventionen. Wie das Geld eingesetzt wird, entscheidet die HVG. Priorität hat im Hinblick auf den Klimawandel die Züchtung, aber auch die Produktionstechnik und die Qualitätssicherung.
1982 kaufte sich die Genossenschaft in Verarbeitungswerke ein. Denn nur die wenigsten Brauer werfen Dolden in den Sudkessel. 95 Prozent von ihnen wollen Pellets oder einen flüssigen Extrakt, in der Konsistenz ähnlich dem Honig, nur in grüner Farbe.
Seit 1982 ist die HVG deshalb Mitgesellschafterin des modernsten und größten Hopfenverarbeitungswerks der Welt, der Hopfenveredlung St. Johann GmbH. Dort wird nicht nur pelletiert, sondern auch extrahiert. Zur Lagerung und Aufbereitung von Naturhopfen besitzt die HVG eine zusätzliche Halle in Mainburg. Hier wird Rohhopfen in Ballen von 50 bis 100 Kilo gepresst oder zu VacuPacks abgefüllt. Gelagert wird der Hopfen in HVG-Kühlhäusern, in denen Temperatur und Luftfeuchte kontinuierlich dokumentiert werden. Ohne Qualitätsverlust halten sich die Pellets so mindestens fünf Jahre, der Extrakt hält sich sogar zehn Jahre. Die Qualität des Hopfens wird so auf hohem Niveau gesichert, die Brauereien können flexibel auf den Bedarf und die Marktentwicklung reagieren.
Genug der Zahlen und Fakten. Wer durch die Holledau mit ihren Hopfengärten fährt, der denkt nicht zuerst an Bier, sondern ist fasziniert von dem satten, fast sieben Meter hohen Grün. Das war auch der Grund, warum sich ein indischer Priester entschloss, hier eine Pfarrstelle anzunehmen und nicht in der Oberpfalz. Hopfenfelder hatte er zuvor noch nie gesehen. „Das war so schön, als der Regen darauf fiel; alles so supergrün.“ Sehr poetisch und mit Herzblut hat der frühere Landrat Rudi Engelhard die Holledau beschrieben. „Unsere Landschaft wäre ohne die hängenden Gärten der Hallertau nicht vorstellbar. Es gibt wohl keine andere landwirtschaftliche Nutzpflanze, die ihren Jahresrhythmus in einem Gebiet so miterlebbar macht ie unser ,Grünes Gold‘. Das spannende Erlebnis im Frühsommer – wann ist er „oben“ in der Gerüstanlage –, die volle Pracht im Sommer, die Ernte im Frühherbst, die raureifbehangenen Drähte und Stangen im Winter.
„Für uns im Landkreis Pfaffenhofen ist der Hopfen ein Teil unseres Lebens.“ Die Menschen im Rest der Welt können ihn dank der HVG auf der Zunge schmecken.