Mit dem Bike zur Arbeit

Text und Fotos: Richard Kienberger


„Impacts of Commuting Practices on Social Sustainability and Sustainable Mobility.“ So heißt eine Studie mehrerer Autoren, die sich mit dem Themenkreis „Pendeln“ auseinandersetzt. 


Damit sind keine Uhren oder physikalischen Testanordnungen gemeint, sondern das, was weltweit Milliarden Menschen an jedem (Arbeits-)Tag machen: „pendeln“ von ihrem Wohnort zur Arbeitsstätte und nach getaner Arbeit von dort wieder nach Hause. Nicht nur wegen der englischen Sprache hört sich der Titel der Arbeit komplex an, und vermutlich kann man über das Pendeln dicke Bücher verfassen. Dabei ist die zugrunde liegende Tatsache relativ simpel: Menschen pendeln, weil sie müssen. 

Natürlich sind damit zum Teil gewaltige Probleme verbunden.

Vor allem in den Megacitys und urbanen Ballungsräumen bedeutet Pendeln Stau, übervolle Züge und Nahverkehrsmittel, Verlust an Lebens­qualität und Lebenszeit. Damit einher gehen ein hohes Maß an Umweltbelastung, soziale und städtebauliche Probleme. Die Liste ließe sich noch lange fortschreiben. In den vergangenen Monaten wurde vielen Pendlerinnen und Pendlern ein weiterer Aspekt wieder schmerzlich bewusst: Pendeln kostet Geld, vor allem wenn dabei das eigene Fahrzeug zum Einsatz kommt. Auf den Webseiten des Statistik-Portals Statista findet sich eine etwas ältere Übersicht, die auf einer Befragung von 43.000 Pendlern aus 52 Ländern beruht. Demnach benötigen Menschen im Nahen Osten jeden Tag am längsten für die Wege zwischen Wohn- und Arbeitsplatz, Deutschland liegt mit einem Wert von 60 Minuten im oberen Mittelfeld. Die Durchschnittswerte sagen natürlich nichts über den individuellen Zeitaufwand aus, der in „Boomregionen“ vermutlich deutlich geringer ausfällt als in den „abgehängten“ Ecken des Landes, in denen Arbeitsplätze rar und weit entfernt sind.



Für 2020 ermittelte das Statistische Bundesamt, dass knapp die Hälfte der abhängig beschäftigten Pendlerinnen und Pendler für die einfache Strecke zwischen 10 und 30 Minuten ansetzen (weitere 21 Prozent benötigen weniger als 10 Minuten, was aber zumindest im allgemeinen Sprachgebrauch kein „Pendeln“ mehr ist). Immerhin ein Fünftel der Beschäftigten pendelt zwischen 30 und 60 Minuten, rund fünf Prozent gar 60 Minuten und mehr. 

Und auch das haben die Statistiker herausgefunden: Der Individualverkehr ist immer noch das am häufigsten genutzte Verkehrsmittel. Mehr als zwei Drittel der Pendler setzen sich für den Weg in die Arbeit und zurück nach Hause in das eigene Auto. Beachtlich ist die Zahl der Radfahrer: Weil die öffentlichen Verkehrsmittel (Zug, Straßenbahn, Bus) gesplittet sind, rangieren die Radler mit einem Anteil von knapp über zehn Prozent auf dem zweiten Platz. Wobei die Zahlen den Umkehrschluss erlauben, dass auch auf Kurzstrecken, die prinzipiell locker mit dem Rad zu meistern wären, auch der Pkw genutzt wird, warum auch immer. Schaut man sich zum Beispiel auf dem Pfaffenhofener Bahnhof um, drängt sich die Vermutung auf, dass hier in der Stadt die Kombination Rad und Bahn gerne genommen wird. Auf jeden Fall sind nicht nur die Stellplätze für die Pendlerautos knapp, auch die Radler würden sich wohl über ein paar Quadratmeter mehr an Abstellflächen freuen.

Eine besondere Spezies unter den Rad fahrenden Pendlern sind die sportlichen Frauen und Männer, die man – unter Berücksichtigung des Transportmittels – als „Fernpendler“ bezeichnen könnte. Viele von ihnen legen bei Wind und Wetter beachtliche Strecken mit dem wohl umweltfreundlichsten Verkehrsmittel zurück. Diese Art der Fortbewegung hat mit der zunehmenden Verbreitung von E-Bikes und Pedelecs (in Bayern auch als „Stromradl“ bekannt) einen ordentlichen Schub erfahren. Batteriepack und Elektromotor im Rad erweitern auch für weniger sportaffine Menschen den Radius, den man auf zwei Rädern zurücklegen kann, erheblich. Während im allgemeinen Sprachgebrauch häufig der Begriff „E-Bikes“ verwendet wird, trifft der genau genommen auf die Mehrzahl der damit gemeinten Fahrräder gar nicht zu: Fachleute bezeichnen als E-Bikes nur die Fahrräder, die auch ohne Pedaltreten funktionieren und daher verkehrsrechtlich einem Mofa gleichgestellt sind. Pedelecs dagegen erfordern den Einsatz von Muskelkraft, um von der Stelle zu kommen.

Die Motivation dafür, sich schon vor Arbeitsbeginn in den Sattel zu schwingen, ist dabei unterschiedlich. Ein häufig genannter Grund sind gesundheitliche Aspekte. „Ich wollte schlicht und ergreifend abnehmen“, antwortet Philipp Hayer auf die Frage, warum er vom Auto auf das Rad umgestiegen sei. Der Rohrbacher (in Heft 19 von Quer19 mit seinen Astro-Fotos vertreten) arbeitet bei Airbus in Manching und fährt seit inzwischen drei Jahren fast ausschließlich mit dem Rad in die Arbeit. „Inzwischen ist das wie eine Sucht geworden. Für mich fühlt es sich komisch an, wenn ich in Ausnahmefällen das Auto nehmen muss.“ Wobei Hayer von Anfang an auf ein Pedelec gesetzt hat, wegen der Bergauf-Passagen auf der 16 Kilometer langen Strecke über Fahlenbach und Hög: „Da schalte ich am Morgen auf die höchste Stufe des E-Antriebs, dann geht das relativ locker und ich komme nicht ins Schwitzen.“ Abends, auf dem Weg nach Hause, strampelt sich der Ingenieur dagegen gerne ab – er wollte ja Gewicht verlieren, an der Fitness arbeiten und Jo-Jo-Effekten vorbeugen.

Inzwischen hat der Rohrbacher noch einen anderen Vorteil seines umweltfreundlichen Verkehrsmittels entdeckt: „In den drei Jahren, die ich das E-Bike jetzt habe, sind rund 17.000 Kilometer zusammengekommen. Damit hat sich die vergleichsweise teure Anschaffung locker amortisiert, bei den derzeitigen Preisen für Energie und Treibstoff sowieso.“ Eine Aussage, die Hayer „aus dem Bauch“ trifft. Auf die Kommastelle genau ausgerechnet hat er den gesparten Betrag noch nicht.



Dabei wäre das nicht einmal schwer: Einer gängigen Faustregel zufolge benötigt eine Akkuladung in einem handelsüblichen Pedelec rund 0,5 kWh Strom. Bei den gegenwärtigen Preisen kostet das je nach Vertrag um die 30 Cent. Die Ladung reicht bei einem Mix von Strampeln und Schub durch den E-Motor ungefähr 100 Kilometer weit. (Der genaue Wert hängt von Faktoren wie Streckenprofil, Gewicht von Fahrerin oder Fahrer, Beladung und Windverhältnissen ab, bei üppiger Unterstützung durch den Motor und viel Bergauffahrt kann es auch deutlich weniger sein.) Bei großzügiger Kalkulation benötigt Hayer also an 20 Arbeitstagen für den Weg nach Manching und zurück maximal fünf Euro. Zudem sind bei einem Fahrrad auch Wartungs- und Reparaturkosten deutlich geringer.

Ganz anders sieht die Rechnung aus, würde er die Strecke mit einem Auto mit Verbrennungsmotor zurücklegen: Ein sparsames Modell kommt vielleicht mit rund 5 Litern Treibstoff pro 100 Kilometer aus, verbraucht also in einem Monat zwischen 30 und 35 Liter der inzwischen so kostbaren Flüssigkeit, was zurzeit eine Spritrechnung von 60 bis 70 Euro ergibt.

Das auszurechnen, käme Renate Schorr nie in den Sinn. Sie fuhr „nur wegen dem Umweltschutz“ schon mit dem Rad in die Arbeit, als das noch ziemlich exotisch war und die Elektrofahrräder erst noch erfunden werden mussten: „Damals wohnten wir in Ingolstadt und ich bin mit dem Rad dreimal wöchentlich nach Neuburg gefahren.“ Jetzt radelt die Logopädin von Hohenwart aus zu ihren Arbeitsplätzen in Pfaffenhofen oder Karlskron, beide jeweils rund 14 Kilometer entfernt.

Zwischendurch kam ein Pedelec ins Haus, doch mit dem Stromfahrrad, das mehr einem Hollandrad glich als einem sportiven Fahrrad, kam Schorr nicht klar. Deshalb hat sie das Modell mit Hilfsmotor vor drei Jahren wieder verkauft und sich stattdessen ein gebrauchtes Gravel-Bike angeschafft. Schorr mag es einfach, an dem Rad gibt es keinen Schnickschnack. Einzig den Gepäckträger vermisst sie. Gängige Modelle, die auch für die Kombination mit Satteltaschen geeignet wären, lassen sich nachträglich nicht montieren, weil aufgrund ihrer Körpergröße die Sattelstütze zu tief im Rahmen steckt. Also musste ein Rucksack für Radtouren her, in den die DIN-A4-Mappen passen, die Schorr bei der Arbeit benötigt. 

Als angenehmen Nebeneffekt verbucht Renate Schorr die Fitness, die sie durch das Radfahren aufgebaut hat.

Sie spielt Volleyball und tanzt in ihrer Freizeit – aus der Puste kommt die Radfahrerin aus Überzeugung dabei nur selten.