Der Traum Plan B

Text: Vanessa Schneider  I  Fotos: Richard Kienberger

Das Licht ist gedämpft, die Leinwand schimmert schwarz. Ros Gilman macht es sich auf seinem roten Sessel im leeren Kinosaal gemütlich. Er schlägt die Beine übereinander und blickt auf die Stuhlreihen: Später nehmen hier wieder Kinder, Freunde und Pärchen Platz. Es wird süßlich nach Popcorn duften. Die Besucher wollen unterhalten und in eine andere Welt entführt werden. Sie wollen mitfiebern und sich freuen. Ros Gilman lässt seinen Blick zur dunklen Leinwand gleiten. Es ist ungewöhnlich still im Kino. Dieser Saal schreit nach Bildern. Nach Emotionen. Nach Musik. Was wären Stars Wars, Harry Potter oder Indiana Jones ohne die unverwechselbaren Melodien? Die Klänge des Komponisten John Williams vervollständigen die berühmten Geschichten. Gilman bewundert die Arbeit von John Williams. Er ist sein Vorbild, denn auch Ros ist einer dieser Menschen, der durch seine Musik Emotionen in Filme bringt. Bislang war noch kein Kinofilm dabei, aber er komponierte bereits Musik für Fernseh- und Kurzfilme sowie für Dokumentationen, die im ZDF zu sehen waren: Neben Melodien für Rosamunde-Pilcher-Filme hat der 35-Jährige auch die Musik für den Imagefilm des Landkreises Pfaffenhofen geschrieben – ein Projekt, das ihm sehr am Herzen lag. Gilman lebt mittlerweile in London, seine Heimat ist Pfaffenhofen. Wenn es die Zeit zulässt, dann besucht er seine Eltern in der Kreisstadt

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Moskau, Pfaffenhofen, Wien, London.

Mit seinem Vater war er früher oft im Kino – damals lag es noch im Stadtkern von Pfaffenhofen. Zusammen mit dem Fotografen verlässt Gilman den Kinosaal und läuft in den Vorraum des Pfaffenhofener Kinos. Hier trifft er die Besitzerin, Pia Schafft. Beide freuen sich, als sie sich wiedersehen. Ros ist freundlich und wirkt sympathisch. Pia Schafft scherzt und der Komponist lacht fröhlich. Sie tauschen Erinnerungen aus. Dann setzt sich der 35-Jährige an den Tisch, damit ihn der Fotograf in Szene setzen kann. Ros schaut plötzlich mit ernster Miene. Seine Hand führt er zum Gesicht. Seine Finger streckt er vom Kinn weg. Denkerpose. Eigentlich wollte der 35-Jährige mit seinen Händen berühmt werden. Doch es kam anders. Mehrmals hintereinander öffnet und schließt er seine Hand. Das war ihm vor wenigen Jahren nicht mehr möglich. In Moskau aufgewachsen, spielte Rostislav – wie er mit vollem Namen heißt – im Alter von drei Jahren bereits Geige. Ein paar Jahre später zogen seine Eltern, beide Berufsmusiker, mit ihm nach Pfaffenhofen. Nach seinem Abitur in Ingolstadt, entschied sich das Musiktalent dazu, das Geigenspielen zum Beruf zu machen. Er studierte in Wien und gründete zusammen mit Freunden ein Streicherquartett. Sie standen auf großen Bühnen, begeisterten das Publikum. Sein Geigenstudium war fast abgeschlossen. Alles lief wunderbar. Doch dann geschah es: Eines Tages korrigierte die Lehrerin seine Handstellung beim Geigen. Da platzte sein Traum. Schmerzen. Starke Schmerzen spürte er in seiner Hand. „Ich konnte beim Essen nicht mal mehr die Gabel halten.“ Ros kämpfte, wollte seinen Traum nicht aufgeben. Die Verletzung passte nicht zu seinem Ehrgeiz. Sie war nicht vereinbar mit seiner Disziplin. Er wollte nicht akzeptieren, dass er nicht mehr Geige spielen kann. Er war wütend. Doch irgendwann ließen sich die Schmerzen nicht mehr ignorieren. Nach eineinhalb Jahren entschied sich der Musiker für seine Gesundheit und damit gegen die Geige. Gegen seinen großen Traum. Es war eine schwere Zeit. Seine Freunde und Familie waren für ihn da und der junge Musiker gab nicht auf. Irgendwann ging Gilman zum Arbeitsmarktservice in Österreich und erkundigte sich nach einem Job für einen verletzten Berufsmusiker. Die Mitarbeiter drückten ihm einen Katalog in die Hand. Ros blätterte ihn durch und blieb an einer Stelle hängen: Filmkomponist. Filmkomponist? Mit einem Studium in Wien. Warum eigentlich nicht?

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Komponist Computer Orchester.

Schnell schloss er den Studiengang erfolgreich ab. Doch dann kam die Ernüchterung. „Ich beherrschte das Handwerk, aber ich kannte mich nicht aus in diesem Business.“ Er fühlte sich nicht optimal auf das Leben als Komponist vorbereitet. Deshalb arbeitete der 35-Jährige viel und bildete sich weiter. „Künstler, die Menschen erreichen wollen, müssen auch pragmatisch sein“, findet Gilman. „Die Rea­lität nach dem Studium ist anfangs weniger glanzvoll als man es sich ausmalt. Um finanziell von der Musik leben zu können, braucht es auch ein Grundwissen in Betriebswirtschaft.“ Ros will er selbst bleiben und nicht bei einem berühmten Komponisten im Team arbeiten.

Kampf liebe talent erfolg.

Deshalb sucht er immer Wege, um von seiner kreativen Arbeit leben zu können. Meist wird für die Komposition einer Filmmusik nur ein vergleichsweise kleiner Teil des Budgets bereitgestellt. Deshalb komponiert er die Musik meist digital am Computer und nicht mit einem großen Orchester zusammen. Wenn Ros allerdings die Möglichkeit hat, dirigiert er gerne Orchester. „Auf der Bühne zu stehen – das macht mich immer noch happy!“ Dabei war die Liebe zur Musik für ihn als Kind nicht immer so groß. „Das war ein Kampf mit dem Geigen“, gesteht der Komponist im Nachhinein. Er hatte oft keine Lust zu üben. Erst mit 16 Jahren packte ihn plötzlich der Ehrgeiz. Damals machte er die Erfahrung vieler Künstler und stellte fest, dass Talent alleine nicht reicht. In seinem Metier gut zu werden, erforderte auch viel Arbeit. Seine Freizeit bestand aus Sport und Geigen. Disziplin und Fleiß. Auch heute ist sein Alltag davon geprägt. Richtig abzuschalten schafft Ros selten. „Die Musik geht mir dann immer im Kopf herum.“ Dennoch versucht er, sich hin und wieder einen freien Tag zu gönnen. In Pfaffenhofen gelingt ihm das oft gut, weil er seine Familie und Freunde wiedersehen kann. Ros verabschiedet sich von der Besitzerin des Kinos. Er lächelt und geht hinaus. Am Geländer bleibt er stehen und blickt in die Ferne. Vielleicht wird er auch einmal die Musik für einen Kinofilm komponieren. Aber selbst wenn das nicht klappen sollte, wird er sich nicht unterkriegen lassen. Der Komponist geht seinen Weg und hat dabei immer eine Melodie im Ohr.